«Ich habe den Kerl abgeworfen»

22. Dezember 2016, Mattias Greuter
Das Eseli mit Kollegen Samichlaus und Schmutzli. Foto: Peter Pfister
Das Eseli mit Kollegen Samichlaus und Schmutzli. Foto: Peter Pfister

Das Samichlaus-Eseli über Rüebli, Vorurteile und die Verkehrsregelnverordnung.

Eseli, dein grosser Auftritt für dieses Jahr ist vorbei. Wie war dein Sami­chlaustag?
Ganz gut. Es war für einmal schön kalt, das gehört irgendwie dazu, nur der Schnee hat gefehlt im Flachland. Aber eigentlich mag ich Schnee gar nicht so, er macht das Laufen mühseliger, und ihr könnt mir glauben: Das Eseli muss viel laufen am 6. Dezember.

Als wir klein waren, haben wir uns auf das Eseli mehr gefreut als auf den Samichlaus. Und aus proletarischer Sicht bist du ohnehin der wahre Held, schliesslich trägst du die ganze Last …
Naja, der Samichlaus trägt auch noch einen Sack …

Wie ist die Zusammenarbeit mit ihm?
Sämi ist … liest er die «az»?

Nicht, dass wir wüssten. Wir liefern nur gegen grossen Aufpreis an den Nordpol.
Sämi ist ein guter Kerl, aber es ist nicht mehr so wie früher mit ihm. Was man als Kind nicht sieht: Der Samichlaus liest nicht nur aus dem grossen Buch vor und verteilt Mandarinli, er ist auch für die ganze Logistik zuständig. Er plant die Routen, muss immer wissen, wer wo wohnt, und darauf achten, dass kein Haus vergessen geht. Seit einigen Jahren muss ich ihn dabei ziemlich intensiv unterstützen, er ist nicht mehr der Jüngste. Einmal hat er mich in einem Garten angebunden und ist nach dem Besuch einfach weitergegangen und hat mich vergessen. Bis ich das gemerkt habe, war er schon viele Häuser weiter. Meine Schreie hat er mit seinen alten Ohren nicht mehr gehört. Ich musste den Strick durchbeissen und ihn suchen, zum Glück habe ich ihn gerade noch gefunden, bevor sein Sack leer war. Auch sonst sind neue Aufgaben für mich dazugekommen, der Job wird anstrengender und anspruchsvoller. Heute muss ich Excel beherrschen, und es heisst ja offiziell auch nicht mehr «Eseli», sondern «Supply Chain Manager/in (HFP)».

Moment, Moment. Warum hat dich der Samichlaus überhaupt angebunden?
(schnaubt) Das wollen wir beide nicht, aber das ist heute Pflicht. Seit der letzten Revision steht in der Eidgenössischen Verkehrsregelnverordnung, dass man Reit- und andere Huftiere nicht für längere Zeit – und schon gar nicht, ohne sie anzubinden – aus den Augen lassen darf. Wir haben versucht, bei den Bürokraten eine Ausnahme für Sami­chlaus-Esel und andere vernunftbegabte Tiere herauszuholen, aber da war nichts zu machen. Heute muss halt alles reglementiert sein. Das ist nicht einfach, wenn man trotzdem an einem einzigen Abend bei allen Kindern der Welt vorbeigehen soll.

Ach komm, wir wissen doch, dass das eine Mär ist. Die alte Leier, dass ein einziger Samichlaus und ein einziger Esel zu allen Kindern gehen, wer soll das glauben? Du bist ja nicht wirklich real, hast also auch keinen Ruf zu verlieren.
Wenn ich nicht real wäre, wie könntet ihr mich dann interviewen?

Touché. Wechseln wir das Thema. Kannst du uns einen Eselwitz erzählen?
Was macht ein Esel vor der Kutsche?

Was?
Er zieht die Kutsche, ihr Rassisten! Oder glaubt ihr, das können nur Pferde?

Du bist wohl der bekannteste Esel der Welt, abgesehen vielleicht von dem im Krippenspiel, und damit so etwas wie die Stimme der Esel in aller Welt. Wie gefällt dir das Bild, das die Menschen von den Eseln haben?
Du meinst die Stereotypen? Esel sind dumm und störrisch? Wenn ihr wüsstet, was wir Esel von euch Menschen denken … Eure Vorurteile stören mich nicht besonders. Wir Esel wissen, dass sie falsch sind, und damit hat es sich.

So einfach ist das?
Ja. Wobei, wenn sich diese Vorurteile eindeutig und auf diskriminierende Weise äussern, kann es schon ärgerlich sein. Bevor ich für den Samichlaus gearbeitet habe, zog ich durch die Lande und arbeitete ein paar Monate in einer mennonitischen Göpel-Mühle in Pennsylvania. Dort haben die Leute noch Anstand und achten uns Nutztiere. In jedem Dorf gibt es einen Hufpflege-Salon, und die Kinder werden nach der Schule in den Stall geschickt. Dann, kaum war ich wieder zu Hause, hatte ich einen Gig in einem Streichelzoo. Dort hat sich tatsächlich ein Jugendlicher auf mich draufgesetzt und mit einem Stock und einer Schnur ein Rüebli vor meine Nase gehalten. Er dachte wohl, ich sei so dumm, dass ich ewig dem Rüebli nachlaufe, und hat die ganze Zeit gegrinst. Wer ist in dieser Situation der Dumme?

Und wie hast du reagiert?
Ich habe den Kerl natürlich abgeworfen und das Rüebli gegessen. Nicht mal das hat der Depp richtig verstanden. Als er wieder auf mir sass, habe ich mich keinen Millimeter mehr bewegt.

Das tönt für uns ziemlich störrisch.
Nein, das ist… hört jetzt auf, diese Vorurteile zu bedienen, eigentlich wollte ich über so was gar nicht sprechen. Wenn ein Esel einmal auf seinem Willen beharrt, heisst es gleich wieder: Seht, seht, «dä Gschider git noo, de Esel blibt stoo». Glaubt ihr etwa, wir lassen uns erniedrigen und an der Nase herumführen wie Pferde, nur um diese Vorurteile zu entkräften?

Apropos Pferde: Was hältst du von ihnen?
Vielleicht habe ich vorher etwas übertrieben. Sie sind halt anders. Dynamischer, irgendwie, vielleicht etwas weniger schlau als wir, ohne jetzt alle Pferde in den gleichen Topf zu werfen. Dass sie anders sind, macht sie auch interessant.

Manche Esel zeugen mit Pferdestuten Maulesel oder mit Rappen Maultiere. Stehst du auch auf Pferde?
(schnaubt laut) Erstens: Ihr verdreht alles. Beim Maultier ist der Esel der Vater. Warum könnt ihr Menschen euch das nicht merken?
Zweitens: Das geht euch eigentlich nichts an, und es ist ziemlich unhöflich, das zu fragen. Ich frage euch ja auch nicht, ob ihr auf Affen oder Hunde steht, nur weil es Menschen gibt, die das mit dem «über den Tellerrand schauen» etwas unkonventionell interpretieren. Wer uns Eseln mit Respekt begegnen will, fragt so etwas nicht. Viele von uns wären tief beleidigt. Ich sehe das etwas lockerer: Ja, ich habe auch Erfahrungen mit Pferden gemacht. Ich hatte eine bewegte Jugend, und man experimentiert halt, wenn man nicht verklemmt ist.

Okay, danke und Entschuldigung. Kommen wir wieder auf deinen Job zurück. Was machst du eigentlich das ganze Jahr bis zum nächsten Sami­chlaustag?
Es gibt immer etwas zu tun. Du musst wissen, dass die Samichlaus-Zentrale ein riesiges Lagerhaus ist, in dem wir uns das ganze Jahr vorbereiten. Wir gönnen uns eine Pause bis Mitte Januar, und dann geht es wieder los. Wir fangen jeweils mit dem Bereitstellen der Nüssli an, die sind am längsten haltbar.

Faszinierend. Eseli, vielen Dank für das Gespräch. Auf die Gefahr hin, dass wir schon wieder ein Vorurteil bedienen, würden wir uns gerne mit einem Rüebli revanchieren. Willst du eins?
I-Aaah!

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Eseli
Nur wenige wissen, dass der Esel des Samichlaus sprechen kann. Er heisst eigentlich Boldewyn, hat aber den Namen «Eseli» angenommen, weil ihn die Kinder, für die er Nüssli, Mandarinli und Schokolade trägt, liebevoll so nennen. Eseli ist 32 Jahre alt und Vorstandsmitglied der Eselgewerkschaft Un-I-Aaah.
Auf einem Bauernhof aufgewachsen, arbeitete Eseli zunächst als Last- und Zugtier in aller Welt, bevor er in der Tourismusbranche und in Streichelzoos jobbte. Ende der Neunzigerjahre abslolvierte er eine Weiterbildung zum «Lastesel mit besonderen Aufgaben» und einen Pädagogik-Kurs, der vom damaligen Sami­chlaus-Esel angeboten wurde. Seit 15 Jahren arbeitet er Vollzeit für den Sami­chlaus.