Es lebe der Gin: Auch zwei Winterthurer surfen auf dem grossen Revival des Wacholderschnapses. Sie brennen ihre handverlesenen Produkte in Hallau. Warum? Weil die Welt guten Schnaps braucht.
So viel Haarpracht auf einem Haufen: Eine Gruppe junger Männer mit gepflegten Bärten in abenteuerlichen Längen steht vor dem «Myrta». Man könnte sie wohl als «Hipster» bezeichnen, aber weil das niemand gerne hört, lassen wird das. Die «Draft Brothers», Samuel Rommel und Beni Erb, haben ihre Freunde zur Beizentour durch Schaffhausen eingeladen – sie wollen sehen, wie sich ihre Produkte hier so machen. Sven Gassman, Freund, Helfer und moralische Stütze, ist stolz: «Es braucht Mut, ein solches Unternehmen aufzugleisen. Aber die beiden haben eben ein Supernäschen.» Man startet mit einem Apéro – nach zwei Flaschen knackigem Riesling und einer Runde Hummus ist für unsereins Schluss, man verabredet sich auf den folgenden Montag, aber bitte erst am Nachmittag (man habe am Wochenende noch einiges vor).
Hochprozentige Tradition
Montag, 13.45 Uhr, Distillerie Zimmerli, Hallau. Bis zu den Ellenbogen stecken Beni Erb und Samuel Rommel in der Quittenmaische. Die gärenden Früchte steigen auf und müssen regelmässig untergemischt werden, damit sie gleichmässig ziehen. Noch brauchen die Quitten ein bisschen Zeit, bis sie vollständig durchgegoren sind, erst dann kommen sie in den Brennhafen. Seit 1894 werden hier in Hallau Schnäpse produziert. Eine lange Tradition, die sich auch auf dem handgezeichneten Etikett der «Draft Brothers» gut macht: «Distillery since 1894». Klingt überzeugend. Auch wenn der erste Schnaps der «Draft Brothers» erst vor gut einem Jahr gebrannt wurde: Mit Hilfe vieler fleissiger Helferhände landete die erste Ladung Zwetschgen, Birnen und Quitten (aus dem Thurgau) in den Fässern, um bald als Öbstler wieder herauszukommen. Als «Old Will» und «Old Plum», verfeinert mit eingelegten Dörrfrüchten, die ihnen eine leichte Farbe und Süsse geben.
Nach einem Jahr Lagerzeit ist nun auch die nächste Genussstufe am Start: die klaren Brände «Williams» und «Zwetschge». Sie sind limitiert, denn einen neuen Jahrgang wird es frühestens in zwei Jahren wieder geben – die Obsternte in diesem Herbst war so schlecht, dass nicht produziert werden konnte.
Die Produktion der Schnäpse ist reine Handarbeit, vom Entsteinen der Früchte bis zum sorgfältigen Verpacken der Flaschen in Holzkistchen. Verliebt ins Detail, so lässt sich wohl der Gesamtauftritt der «Draft Brothers» beschreiben, angelehnt an vergangene Designs. Das zeigt sich in der Gestaltung der Etiketten, aber auch im Auftreten der «Brothers» selbst. Stilvoll, nostalgisch. Und das hat seinen Preis. Ihre «Spirits» seien Liebhaberprodukte, gemacht für Leute, die den Aufwand dahinter zu schätzen wüssten, sagt Beni Erb. Und eher nicht für die breite Masse. Sonst müssten sie ganz anders produzieren, und das entspräche nicht ihrer Philosophie.
Doch eigentlich geht es ihnen gar nicht um Öbstler. Doch, auch. Aber vor allem geht es um Gin.
Pur und klassisch
Von Anfang an sei nämlich klar gewesen, dass sie einen Gin machen wollten; seit August ergänzt er das Sortiment. Die «Draft Brothers» produzieren ihn auf Nachfrage – tausend Flaschen waren es seither.
Aber warum eigentlich Gin? Die beiden Jungs wirken nicht, als ob sie nur auf den fahrenden Zug aufgesprungen wären – obwohl ihnen der Schwung des Gin-Revivals schon einen Vorteil verschafft habe, wie sie zugeben. Aber auch sonst ist der Zeitgeist auf ihrer Seite: Handgemachte, regionale Produkte, die Rückbesinnung auf Traditionen und Qualität liegen im Trend – was begrüssenswert ist und sich hoffentlich noch etwas halten wird. Ist da keine Angst, dass der Hype bald wieder abflachen könnte? Nein, eigentlich nicht, sagen die beiden. All die neuen Gin-Fans werden sicher nicht gleich wieder abspringen.
Wichtig sei ihnen aber vor allem die Selbsttreue, sagt Samuel Rommel: «Wir produzieren, was wir selber gerne trinken, damit wir voll und ganz dahinterstehen können.» Und sie trinken gerne guten Schnaps. Oft genug hätten sie erfolglos versucht, in einer Bar einen richtig guten Schnaps zu bekommen, was die beiden irgendwann ein wenig verstimmt habe: «Wir dachten uns, eigentlich könnte man das doch besser machen.»
Gedacht, getan: Lange haben sie an ihrem eigenen Gin-Rezept getüftelt, ohne dabei irgendwelchen Vorbildern nachzueifern: «Wir wissen, was uns schmeckt.» Der Gin-Boom der letzten Jahre habe viele neue Produkte mit unzähligen Zutaten hervorgebracht – je mehr, desto besser, so machte es jedenfalls den Eindruck. Beni Erb und Samuel Rommel mögen es lieber pur und klassisch. Die Basis bleibt der Wacholder, er kann nach Lust und Laune «getunt» und verfeinert werden. Das sei vergleichbar mit der Herstellung eines Parfüms, sagt Erb – oder mit einem Chemiebaukasten. Fünfzig verschiedene Essenzen haben die beiden destilliert, getestet und kombiniert, bis es schliesslich interessant wurde: Zehn sogenannte «Botanicals» finden sich nun im Gin der «Draft Brothers», darunter Fenchelsamen («Die ziehen die Nase so richtig ins Glas») und Ingwer. Wo es geht, stammen die Zutaten aus der Schweiz – Regionalität ist Programm.
Kampf um die Lizenzen
Dass die «Draft Brothers» Hans Zimmerlis Brennapparaturen nutzen dürfen, ist für sie ideal, denn viel Startkapital hatten sie nicht. Aber auch Zimmerli ist froh: «Neue Leute im Betrieb geben immer Aufwind. Ich selber entdecke neue Ideen – man ist ja sonst schnell einmal festgefahren im eigenen Konzept.» Ausserdem erreichten die beiden eine neue, junge Kundschaft. Das alles helfe schliesslich auch ihm, sich über Wasser zu halten – das Geschäft mit dem Schnaps sei ein schwieriges, gerade wenn man so grenznah produziere: «Die Grenze ist kein Hindernis mehr, der Schnaps in Deutschland billiger.» Das spüren auch die Jungunternehmer, es wurden ihnen schon einige Steine in den Weg gelegt. Hochprozentiges zu vermarkten, ist nicht einfach, der Kampf um die Lizenzen hart. Die vielen kleinen Bierbrauereien haben es da einfacher.
Doch nicht zuletzt dank Hans Zimmerli ist der Start nun geglückt. Die Jungs bezahlen «Untermiete», vor allem die Nebenkosten, aber Zimmerli sei sehr grosszügig: «Er steht uns mit Rat und Tat zur Seite.» Ausserdem helfe ihnen ihre Winzerausbildung (so haben sie sich übrigens kennengelernt), alles andere sei «Learning by doing». Sie lachen: «Wir waren noch nie in einer Gin-Distillerie – keine Ahnung, wie es dort aussieht.»
Den Wein haben beide mittlerweile abgehakt und arbeiten Teilzeit in anderen Jobs. Das Ziel wäre aber schon, sich voll und ganz der Schnapsproduktion zu widmen und auch davon leben zu können. «Wir haben ständig neue Ideen im Kopf, zum Beispiel einen Rum aus Zuckerrüben oder weitere Gin-Varianten.» Noch sei es zu früh, Zukunftsprognosen zu wagen. Obwohl: Ihre Produkte können es mit der Schweizer Konkurrenz schon locker aufnehmen. Im Oktober, am «Swiss Craft Spirits Festival» in Basel, räumten sie ab: «Bester Gin», «Bester Fruchtbrand», «Bester Auftritt». So kann es weitergehen.
Ohne Schnickschnack
Und wie mischt man nun den perfekten Gin Tonic? Da gehen die Meinungen auseinander. Das Tonic Water spielt natürlich auch eine Rolle. Die «Draft Brothers» empfehlen – was sonst – ein lokales: das «Gents». Man solle übrigens einen Bogen um Zitronen oder gar Gurken machen – die verfälschten den Geschmack und gehörten eigentlich nicht in einen Gin Tonic. «Wie gesagt, wir mögen es klassisch: Gin, Tonic Water und Eis – ohne Schnickschnack.»