Die Schaffhauser Computerspiel-Firma «Urban Games» hat mit «Transport Fever» ihr zweites Spiel veröffentlicht und die hohen Erwartungen erfüllen können. Bald wird das Start-up erneut ausbauen.
Das Spiel ist draussen. Endlich. Doch die Last will noch nicht so recht abfallen von den Schultern des sichtlich erschöpften Basil Weber und seines neunköpfigen Teams. Im Altbaubüro an der Schlagbaumstrasse wird weiterhin programmiert und optimiert. Die Nachbereitung von «Transport Fever» wird noch Wochen in Anspruch nehmen. «Sowas ist ganz normal bei Computerspielen», sagt der Product- und Community-Manager Tom Schrettl. Das Spiel läuft weltweit auf den verschiedensten Computern, mit Tausenden Möglichkeiten der Konfiguration. «Da schleichen sich unweigerlich hier und dort Fehler ein.» Schrettl selbst tut seit Tagen nichts anderes, als per Mail Fragen von Spielern zu beantworten und Anregungen entgegenzunehmen. Ein erstes Update war bereits wenige Tage nach Erscheinen von «Transport Fever» verfügbar. Weitere werden in den nächsten Wochen folgen. Dann ist es erst mal geschafft. Seit zwei Jahren tüfteln die Schaffhauser Computerspiel-Entwickler bereits mit Hochdruck am neuen Baby. In den letzten Monaten bis zu 80 Stunden pro Woche.
Glaubt man den Rezensionen in einschlägigen Game-Magazinen, hat sich die Plackerei gelohnt. «Transport Fever» wird im Grossen und Ganzen als würdiger Nachfolger des in der Szene legendären «Transport Tycoon» aus dem Jahr 1994 gehandelt. Am Release-Tag stand es auf Platz eins bei «Steam», der weltweit grössten und bedeutendsten Vertriebsplattform für Computerspiele.
Kampf gegen die Pleite
«Transport Fever» ist die Fortsetzung von «Train Fever», dem ersten Spiel aus dem Hause «Urban Games». Der Neuling macht optisch aber mehr her, ist umfangreicher, einfacher zu bedienen und somit um einiges massentauglicher.
Der Spieler ist Chef eines Transportunternehmens, das «gegen die Pleite ankämpfen» muss, wie Tom Schrettl augenzwinkernd sagt, während er vorführt, wie man Schienen möglichst kostengünstig den Höhenlinien entlang um eine Erhebung zieht. Im Kern geht es darum, Bahnhöfe, Gleise, Bushaltestellen, Häfen und Flughäfen zu bauen, neue Routen zu erschliessen und Flotten aufzubauen und zu betreiben, um Personen und 18 verschiedene Waren in immer komplexeren Systemen zirkulieren zu lassen.
Jeder Bewohner der anfangs überschaubaren Städte hat eine eigene Minibiographie und individuelle Bedürfnisse, die es zu stillen gilt. Durch das Anlegen der Transportrouten kann der Spieler steuern, wie und wo sich die Städte entwickeln, welche Beziehungen sie zueinander pflegen und welche Annehmlichkeiten den Bewohnern geboten werden. Floriert die Stadt, fällt auch etwas fürs Transportunternehmen ab und umgekehrt.
Beginnend im 19. Jahrhundert, klickt sich der Spieler durch 150 Jahre Transportgeschichte, betreibt Postkutschen und Schaufelraddampfer ebenso wie Gelenkbusse à la VBSH und Düsenflugzeuge. Einfache Warenketten (Eisen wird zu Werkzeug) werden über die Jahrzehnte komplexer (Eisen und Kohle werden zu Stahl und Schlacke), die Transportwege spannen sich bald wie ein Netz über die Karte. Um Schienen zu legen, werden Schneisen in Hügel gegraben, werden Berge durchstochen, muss mit Indianern verhandelt werden, die ihre Reservate nicht verlassen wollen, müssen streikende Gleisarbeiter besänftigt werden.
In zwei Kampagnen hilft man etwa beim Bau des Panamakanals oder bei der Grabung am Gotthard. Hier melden sich aufgebrachte Naturschützer, die auf der Route eine gefährdete Froschart retten wollen, dort muss ein Sumpf trockengelegt werden, um eine Mückenplage zu verhindern, die wiederum die Produktivität der Arbeiter senken und die Kosten des Projekts in die Höhe treiben würde.
«Urban Games», gestartet als Freizeitprojekt der Schaffhauser Brüder Basil und Urban Weber, hat sich mittlerweile zu einem Zehnmannbetrieb mit ernsten Ambitionen gemausert. Und muss sich daran auch messen lassen. Die Community erwartet mittlerweile einiges vom zweitgrössten Computerspiel-Entwickler der Schweiz, der sich in einem Markt bewegt, der von Entwicklerbetrieben mit vielen hundert Mitarbeitern dominiert wird.
«Wünsche wie ein Multiplayer-Modus oder Tag- und Nachtzeiten lassen sich natürlich nicht so auf die Schnelle umsetzen», sagt Tom Schrettl. Und natürlich sieht «Transport Fever» optisch nicht aus wie der neuste «GTA»-Titel. Dafür sind schlicht keine Ressourcen da. Unter dem Strich gibt es ein Zeit- und Geldbudget, mit dem das Start-up zu jonglieren hat. Einige Fehler müssen in Kauf genommen werden. «‹Rockstar Games› etwa hat wohl mehr Programmierer, die nur Grafikfehler ausmerzen, als wir überhaupt Mitarbeiter haben», sagt Basil Weber.
Drittes Spiel in Planung
Der Spagat scheint geglückt zu sein. Obwohl «Transport Fever» ein Nischenprodukt ist, lassen sich die Verkaufszahlen sehen. 60’000-mal wurde das Spiel in der ersten Woche von «Steam» heruntergeladen. Weber rechnet mit insgesamt 200’000 Verkäufen. Vom Verkaufspreis von rund 30 Franken gehen 10 Franken an «Urban Games». Mit Crowdfunding konnten die Schaffhauser ihre künstlerische Unabhängigkeit wahren und schauen nun, nach Erscheinen des zweiten Spieles, einer erfolgversprechenden Zukunft entgegen.
«Das nächste Spiel werden wir komplett selber finanzieren», sagt Basil Weber. Dafür soll das Team noch einmal aufgestockt werden und mittelfristig 20 bis 30 Entwickler umfassen. Gar keine einfache Aufgabe, Game-Designer sind rar gesät. «Aber bis jetzt hat es immer irgendwie geklappt», sagt Weber zuversichtlich. Er selbst wird dann «endlich» nicht mehr selbst programmieren, wie er es bei «Transport Fever» noch getan hat – neben der ganzen Organisation, Vermarktung, Verlagsarbeit, Lizenzverhandlungen und vielem mehr.
Demnächst muss ein neues, grösseres Büro her. Aber zuerst geht es im Dezember in die wohlverdienten Ferien. Endlich.