«Ein Gingg ans Bein der Behörde»

30. Oktober 2016, Romina Loliva
«Mein Ziel ist es, jedes politische und rechtliche Mittel kennenzulernen und herauszufinden, was funktioniert.» Foto: Peter Leutert

Claudio Kuster ist der Stachel im Fleisch der Schaffhauser Politik. Der politische Sekretär von Thomas Minder hat sich mit der «Abzockerinitiative», aber auch mit Beschwerden aller Art einen Namen gemacht. Momentan geht er gegen den Erziehungsrat vor und hat das Wahlergebnis der Kantonsratswahlen (die «az» berichtete am 20. Oktober) angefochten. Warum macht er das?

az Claudio Kuster, sagen Sie mal, stänkern Sie gerne?
Claudio Kuster
Nein, aber ich hinterfrage und durchleuchte gerne Verfahren und Prozesse. Es geht mir um eine Verbesserung und nicht um Anschuldigungen gegen einzelne Personen. Ich versuche, das Prozedere in den Vordergrund zu stellen.

Aber Sie sind ein fleissiger Beschwerdeführer, gehen oft den juristischen Weg, warum?
Weil es manchmal nicht anders geht. Ich weise die Politik und die Verwaltung immer wieder auf gewisse Dinge hin und bringe mich proaktiv ein, schreibe Vernehmlassungen. Wenn dann aber nichts passiert, muss man auch den Rechtsweg beschreiten können. Ich mache Gebrauch von dieser Möglichkeit. Vieles, was das Verhältnis von Staat und Bürgern betrifft, wird über den Rechtsweg erstritten.

Stösst die direkte Demokratie also an Grenzen, wenn die politischen Prozesse nicht ausreichen?
Oft geht es um die Umsetzung von politischen Beschlüssen. Sowohl national wie auf kantonaler Ebene muss man immer wieder dafür kämpfen, dass Volksentscheide auch eingehalten werden. Da braucht es Leute, die den Finger daraufhalten.

Und was bewegt Sie persönlich, über die Politik und die Verwaltung zu wachen?
Ich verdiene keinen Rappen damit – ich bin ja nicht Anwalt –, auch wenn ich bereits vor Bundesgericht gewonnen habe. Im Gegenteil, man muss oftmals Vorschüsse leisten und viel Zeit investieren. Andere schreiben Gedichte, ich schreibe Beschwerden. Es macht mir Spass, und es ist auch ein Stück weit mein Beruf. Ich bin politischer Sekretär von Ständerat Thomas Minder, und er sitzt in der staatspolitischen Kommission, daher habe ich viel mit juristischen Fragen zu tun. Und wenn man von Berufs wegen an den Institutionen herumschraubt, dann denke ich, dass man die Verfahren kennen muss. Ich habe schon Volksinitiativen, Referenden, Volksmotionen, Petitionen, Beschwerden eingereicht.

Sie wollen also jedes demokratische Mittel ausprobieren?
Ja, das ist mein Ziel! Ich will jedes politische und rechtliche Instrument kennenlernen und herausfinden, was funktioniert und was nicht.

Werden Sie ernst genommen?
Das ist sicherlich unterschiedlich. Aber die Leute merken, dass ich nicht ein Querulant bin und dass mein Vorgehen Hand und Fuss hat – ich schlafe nicht ein Mal drüber, sondern dreissig Mal und bin vor Gericht bis jetzt nie unterlegen. So kann man sich Respekt verschaffen.

Sind Sie ein Selfmade-Jurist?
Recht interessiert mich sehr, aber ja, ich habe nie Jus studiert. Das Recht ist an sich zugänglich, wenn man sich damit beschäftigt. Ich bin an der Schnittstelle zur Politik, und das Recht ist für mich ein wichtiges Instrument, um sie zu beeinflussen.

Und darüber twittern Sie dann ausgiebig. Warum diese Art der Kommunikation?
Weil ich nicht auf Facebook bin. Und auch nicht auf anderen Socialmedia. Aber heutzutage sollte man sich auf irgendeiner Weise darauf bewegen, sonst ist man ein Sonderling. Twitter ist für mich interessant, weil dort Politiker und Journalisten sind. Der Austausch mit ihnen macht Spass. Man kann Provokationen lancieren und zuschauen, was passiert, das gefällt mir!

Wollen Sie, dass die Person Claudio Kuster in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird?
Ja. Das war auch sieben Jahre mein Job. Als Sekretär der «Abzockerinitiative» musste ich dem Thema Resonanz verschaffen, das hat eine Weile gedauert. Für einen No-Name ist das nicht einfach, darum habe ich auch die Twitter-Geschichte angefangen. Mittlerweile schätze ich die Diskussionen, die daraus entstehen, und erfahre auch immer wieder Neues.

Im Moment beschäftigen Sie den Kantonsrat mit einer Aufsichtsbeschwerde gegen die Zusammensetzung des Schaffhauser Erziehungsrates. Was stört Sie daran?
In Schaffhausen haben wir ein Gesetz über die Gewaltenteilung, das besagt, dass Gremien und Kommissionen, die vom Kantonsrat gewählt werden, in ihrer Mehrheit unabhängig sein müssen. Also nicht mehrheitlich aus Kantonsräten, Regierungsräten und Verwaltungsangestellten bestehen können. Das ist aber beim Erziehungsrat der Fall. Das Gremium besteht aus elf Personen, der zuständige Regierungsrat und die vier Lehrpersonen sitzen von Amtes wegen darin. Das heisst, dass die anderen sechs unabhängig sein müssen. Weil aber ein Kantonsrat und eine weitere beim Kanton angestellte Person dabei sind, verstösst die Zusammensetzung gegen das Gesetz über die Gewaltenteilung. Besonders der Einsitz eines Kantonsrates, der sogar Vizepräsident des Erziehungsrates ist, stört mich sehr. Dieser Rat ist eine Aufsichtsbehörde, da darf niemand rein, der im Parlament die Gesetze macht.

Und Sie verlangen, dass die Beschlüsse des Erziehungsrates in dieser Zusammensetzung aufgehoben werden, auch wenn im neuen Rat diese Behörde so oder so neu gewählt wird? Ist das nicht obsolet?
Das wird aus zeitlichen Gründen obsolet, ja. Aber es lohnte sich dennoch: Meine Beschwerde hat auch präventiven Charakter, und sie gilt für alle ausserparlamentarischen Kommissionen. Nun sind die Parteien, die Verwaltung, das Büro des Kantonsrates darauf sensibilisiert und werden sich mit der Frage der Gewaltenteilung hoffentlich auseinandersetzen. Sie haben alle gefloppt. Zugegeben, auch der Öffentlichkeit und den Medien fiel es nicht auf.

Sie haben aber auch erst jetzt hingeschaut. Darum werden Sie kritisiert. Warum haben Sie nicht bei der Wahl der Behörde, 2013, interveniert?
Ja, ich bin drei Jahre zu spät (lacht). Es stimmt. Und dennoch kann laut Verwaltungsrechtspflegegesetz «jedermann jederzeit» eine Aufsichtsbeschwerde einreichen. Und sie ist auch keine Klage, ich kann sie nicht weiterziehen und will es auch nicht. Sie ist eine bessere Petition, «en Gingg» ans Bein der Behörde, um zu sagen, schaut doch hin.

Rechnen Sie sich Chancen aus?
Nein, absolut nicht. Ich werde kaum Unterstützung finden im Kantonsrat. Meine Beschwerde wurde den Kantonsräten nicht geschickt. Sie haben nur die ablehnende Replik der GPK erhalten. Das ist unerhört! Wie soll man sich eine Meinung bilden, wenn man nicht beide Seiten kennt? Ich muss nun also einen eigenen Versand an die Räte machen. Aber die Fraktionsmeinungen sind mittlerweile schon klar.

Geht es Ihnen nicht auch um den Lehrplan 21? Der Erziehungsrat ist für dessen Einführung zuständig, und Sie wollen genau diese verhindern. Sie sitzen im Komitee der Initiative «Lehrpläne vors Volk», die im November zur Abstimmung kommt.
Es ist ein schöner Zufall, dass die falsche Zusammensetzung des Gremiums mir diesen Sommer aufgefallen ist.

Zufall? Wirklich?
Ja. Im Juni hat der Kantonsrat die Initiative behandelt, und man kam auf den Erziehungsrat zu sprechen. Es hiess, dieser würde transparent arbeiten und sei kompetent genug. Da habe ich dann angefangen, mich damit zu beschäftigen.

Warum kämpfen Sie gegen den Lehrplan 21?
Mir geht es nicht um den Inhalt des Lehrplans. Und ich musste es mir gut überlegen, weil im Komitee der Initiative Leute sind, die klare ideologische Absichten verfolgen. Aber der Lehrplan 21 ist ein Politikum und beinhaltet wichtige Weichenstellungen für die Volksschule, die nicht am Volk vorbei beschlossen werden sollten. Zudem wird der Lehrplan nicht nur von rechts kritisiert. Es gibt auch Liberale und Linke, die sich dagegen wehren. Der Unmut ist gross. Ich denke, dass dieser verschwinden würde, wenn das Volk darüber bestimmen könnte. Ich nehme nämlich an, dass der Lehrplan 21 angenommen würde. Was unsere Initiative will, ist eigentlich nur ein Vetorecht, eine Notbremse.

Der heute gültige Lehrplan wurde aber auch nicht vom Parlament oder vom Volk abgesegnet. Warum soll sich das ändern?
Weil der heutige Lehrplan nicht polarisiert.

Inhaltlich liegen die beiden Lehrpläne aber nicht sehr weit auseinander.
Ich muss zugeben, ich habe den Lehrplan 21 nicht gelesen. Und habe keine Lust dazu, weil ich nicht darüber bestimmen kann. Es ist eine reine Zeitverschwendung, solange ich nichts daran ändern kann. Ich kann ihn nur gut oder schlecht finden, aber nicht entscheiden, ob er in Kraft treten soll oder nicht. Für mich geht es um das Mitbestimmungsrecht der Bürger.

Trotzdem bieten Sie mit Ihren Argumenten Hand für eine fundamentalistisch motivierte Bewegung. Diesen Leuten geht es unter anderem um den Aufklärungsunterricht und um den Stellenwert der Religion in der Schule. Ist das nicht gefährlich?
Nein. Ich bin überzeugt, dass die fundamentalistischen Anliegen nicht durchdringen werden. Ich denke, dass möglichst viele Leute in die Diskussion über den Lehrplan eingebunden werden müssen, dann werden sich solche Argumente entkräften. Das geht aber nur, wenn man auch darüber bestimmen kann. Ich bin aus liberalen Gründen für die Initiative.

Sie nennen sich jetzt liberal, machen bei konservativen Initiativen mit, sind für eine strikte Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative und haben die «Transparenz-Initiative» gemeinsam mit der SP lanciert. Politisch sind Sie von aussen schwer einzuordnen, wie sehen Sie sich selbst?
Am ehesten als grünliberal. Ich denke ökologisch, bei gesellschaftlichen Fragen liberal, fiskalpolitisch im Kanton eher links, national eher bürgerlich. Es kommt sehr auf die Thematik an.

Sie haben auf der Liste der GLP für den Kantonsrat kandidiert, es hat aber nicht gereicht. Finden Sie es schade?
Ich hätte es sehr gerne gemacht. Wie gesagt, ich möchte alle Mittel der Politik ausprobieren, dazu gehört auch sich zur Wahl zu stellen. Es hat nicht gereicht, aber dass die GLP mit einer Liste in Neuhausen angetreten ist – dass alle, auch kleine, Parteien in jedem Wahlkreis antreten, ist ja wichtig in unserem Wahlsystem – hat der Partei zu ihrem vierten Sitz verholfen. Daher hat sich meine Kandidatur gelohnt.