Das neue Stück des «jugendclub momoll theaters» dreht sich um jugendliche Sorgen und Bühnenträume – wie sie die mitwirkenden Theaterleute auch aus der Wirklichkeit kennen.
Tiefstes Transsilvanien, die Walpurgisnacht steht an. Vampir Salomon von Schwarznacht schleicht durch die alten Burghallen, er lechzt nach der Liebe und dem Blut seiner Hexengräfin Fibrilla von Finsterstein. Sie ist ihm nach wie vor sehr zugetan – er aber erinnert sie schmerzerfüllt daran, dass es Vampiren und Hexen strengstens verboten ist, zu heiraten. Doch Fibrilla ist eine fortschrittliche Hexe: Sie will den Vampir gar nicht heiraten, sondern nur mit ihm zusammen sein. Salomon streicht seiner Liebsten leidenschaftlich das Haar zur Seite, neigt sich über ihren Hals und –, «Da isch doch blöd so». Gereizt bricht die Spielerin die Theaterszene ab: «Ich wott au gar kein Maa schpile.»
Nicht nur Ramona, die für das neue Schulprojekt den Vampirfürsten spielen soll, hadert noch mit ihrer Rolle. Auch die anderen vier Mädchen müssen erst einmal ausprobieren, wer sie sein wollen auf der Bühne. Sie haben sich in der Pfadihütte versammelt, um zusammen ein Musical einzustudieren. Ideen werden diskutiert und wieder verworfen. Ein Vorschlag aber stösst sofort auf Begeisterung: Es soll ein dunkles Geheimnis vorkommen. Nur Lena stockt der Atem – hat sie doch selbst etwas vor ihren Freundinnen zu verbergen. Ihre fadenscheinigen Einwände bringen nichts, die Mädchen spinnen die Idee weiter und stürzen sich ins Theaterspiel. In die Probearbeiten mischen sich bald schon Eifersuchtsszenen und persönliche Spannungen. Denn nicht nur für Lena rückt die Bühnenwelt plötzlich nah an ihre eigenes Erleben, auch bei den anderen Mädchen brechen im Spiel reale Ängste und Sehnsüchte hervor.
Spiel mit Identitäten
Das neue Stück des «jugendclub momoll theaters» ist so vielschichtig, wie es der Titel anklingen lässt: «Spiegelspiel» verbleibt mit seiner Struktur des «Theaters auf dem Theater» aber nicht in seiner Selbstreflexivität, sondern kommt auf Tempo. Die Musicalszenen lockern die ernsten Themen auf, die mit der Selbstfindung der fünf jungen Frauen einhergehen: Die Geschichte um Vampire und Hexen greift die jugendliche Populärkultur parodistisch auf – die Schuldgefühle, die Eifersucht und der Kummer in Mädchenfreundschaften indessen fühlen sich echt an.
Diese Kombination spricht auch die Schauspielerinnen an. In den Musicalszenen könne man so richtig auf den Putz hauen – die lebensnahe Rahmenhandlung sei da eher anspruchsvoller zu spielen, meint Lia Budowski, die in «Spiegelspiel» Ramona und den Vampir Salomon von Schwarznacht gibt. Das Ensemble, das neben Lia Budowski aus Lisa Brühlmann, Pia Kugler, Emma Monachesi und Livia Schraff besteht, hatte ein grosses Mitspracherecht – was man dem Stück im besten Sinne anmerkt. «Mit Vampiren habe ich selbst ja eigentlich nichts am Hut», meint Jürg Schneckenburger, der seit 1994 die Inszenierungen des «jugendclub momoll theaters» leitet. Er hat das Ensemble bereits bei der Themenwahl mitentscheiden lassen. «Ich bin in der Lebenswelt der Jugendlichen schon auch zu Hause, aber so richtig verankert bin ich darin nicht mehr. Es waren die Spielerinnen, welche die Musical-Idee und das Thema Schuld spannend fanden.»
Leidenschaft fürs Schreiben
Die Themenvorschläge für das Theaterstück stammten von der jungen Drehbuchautorin Fanny Nussbaumer, die für die neue Produktion mit ins Boot geholt wurde. Im Austausch mit Regisseur und Ensemble plante sie den Plot und schrieb auf dieser Grundlage den Text.
«Spiegelspiel» ist das siebte Theaterstück der 24-Jährigen, die im Nohl aufgewachsen ist. Bereits mit 14 Jahren hat sie ein erstes Stück zu Papier gebracht und damit ihre Leidenschaften fürs Schreiben und fürs Theater zusammengeführt. Gegenwärtig absolviert die gelernte Floristin den Lehrgang «Drehbuch schreiben» an der Schule für angewandte Linguistik in Zürich – weil es nichts anderes in ihrem Leben gebe, das sie so begeistere wie das Schreiben. «Es ist die Faszination, in andere Welten einzutauchen. Gedanken weiterzuspinnen – was wäre, wenn?»
Bei der Wahl ihrer Themen setzt sich die Theaterautorin keine Schranken. Was sie immer fessle, seien Konfliktsituationen, in die eine Figur reinrutsche und aus der sie irgendetwas machen müsse. Dieses Schema hat Fanny Nussbaumer auch in ihrem neusten Stück angewendet. Solange die Grundkonflikte bestehen blieben, hatte sie kein Problem mit Änderungen, welche die Theatertruppe während des Probeprozesses am Stück vorgenommen hat. Sie selbst hat schon mehrfach auf der Bühne gestanden – etwa in der «Theaterchuchi» oder beim «jugendclub momoll theater» selbst – und sieht die Sache pragmatisch: «Ich weiss, wie anstrengend es als Spielerin sein kann, wenn einem der Text völlig gegen den Strich geht.» Ausserdem habe sie völliges Vertrauen in Jürg Schneckenburger und seine Arbeitsweise mit dem Ensemble. «Ich mag es, wenn ich etwas aus der Hand geben kann, das sich dann weiterentwickelt. Es ist am Schluss natürlich ‹unser› Stück und nicht ‹meins›. Aber mir gefällt das.»
Autonomie auf der Bühne
Auch Jürg Schneckenburger betrachtet «Spiegelspiel» nicht als «sein» Stück: «Ich möchte je länger, je weniger den Regisseur spielen. Heute begleite ich lieber.» Was ihn interessiere, sei die Autonomie: Die Spielerinnen sollen sich nicht abhängig machen von seinem Feedback. Dem Theaterstück sei das zuträglich, weil die Schauspielerinnen es so wirklich zu ihrem eigenen machen, voll und ganz dahinterstehen könnten. Jürg Schneckenburger gibt zu bedenken, dass im Publikum, nur einen Meter entfernt vor der Fassbühne, oft Schulklassen sässen, die nicht nur lieb seien. «Da muss man als Jugendliche auf der Bühne stark sein und damit umgehen könnnen, wenn das Publikum mal nicht mitspielt.»
Theaterspielen ist für junge Menschen heutzutage schliesslich kein alltägliches Hobby. Es gibt so viele andere Möglichkeiten, sich zu inszenieren und sich eine private Bühne zu schaffen. Youtuber, Blogger-innen oder Instagram-Queens werden mit ihren Auftritten weltberühmt, manchmal gar, ohne ihr Zimmer (oder das Fitnessstudio) zu verlassen. Auch am «jugendclub momoll theater» ziehen solche Entwicklungen der modernen Jugendkultur nicht spurlos vorbei. Die Kurse und Werkstätten seien nach wie vor gut besucht, meint Jürg Schneckenburger. Die Bereitschaft, wirklich ein Projekt durchzuziehen, die nötige Zeit zu investieren, ist seines Erachtens aber kleiner geworden. «Das Gespräch und die Entscheidungsphasen bis zur definitiven Zusage haben sich verlängert.»
An jeder Ecke könnte ein besseres Angebot warten, es gibt so viele andere Möglichkeiten, seine Freizeit zu verbringen. Das macht die Arbeit auch für den Theaterpädagogen nicht einfacher: «Was für mich anspruchsvoller geworden ist, ist das Zusammenfinden, das gemeinsame Fokussieren. Die Jugendlichen sind heute mehrspurig unterwegs.» Der Probeplan sei komplexer geworden, die Probezeiten müssten reduziert werden – natürlich auch wegen des Leistungsdrucks, der heute auf den Schülerinnen und Schülern lastet. «Dass Jugendliche sich über drei Monate einer Leidenschaft widmen können, ist schwieriger geworden.»