Wie aktiv soll die Stadt gemeinnützigen Wohnraum fördern? Soll sie ihn sogar selbst anbieten? Das Pendel in diesem Streit ist bei einem Kompromiss angekommen. Die Geschichte seiner Findung in fünf Akten.
Ein neues Gutachten eines externen Juristen legt fest, was die Stadt mit aufgekauften Genossenschaftsliegenschaften tun darf und was nicht. Viel neues steht nicht darin. Die Antwort auf die Frage, warum es überhaupt in Auftrag gegeben wurde, ist in einem politischen Streit zwischen links und rechts, vor allem zwischen Stadtpräsident Peter Neukomm und SVP-Grossstadtrat Hermann Schlatter zu suchen, der schon seit Jahren ausgefochten wird. Im Wesentlichen geht es um eine Grundsatzfrage: Wie aktiv soll die Stadt im Schaffhauser Wohnungsmarkt mitmischen?
Erster Akt: Die Stadt kauft ein
Für insgesamt 19 Millionen Franken hat der Stadtrat von 2012 bis 2014 vier Liegenschaften von Wohnbaugenossenschaften gekauft, die mangels Nachwuchs teilweise in ihrer Existenz gefährdet waren. Möglich waren diese Käufe dank dem 1998 eingerichteten Rahmenkredit für Land- und Liegenschaftserwerb: Er erlaubt es dem Stadtrat, schnell in eigener Kompetenz zuzuschlagen, wenn ein Grundstück für einen von drei Verwendungszwecken interessant sein könnte: zur Abgabe im Baurecht an Firmen als Instrument der Wirtschaftsförderung, als Landreserve zur Sicherstellung eigener Bedürfnisse (beispielsweise für den Bau von Schulhäusern) und als Landreserve zum Zweck des gemeinnützigen Wohnbaus und des Baus von Alterswohnungen.
Die vier Käufe waren auch möglich, weil der damalige Stadtrat in Fragen der Wohnraumpolitik noch anders dachte als der heutige: Thomas Feurer war noch Stadtpräsident, die Mehrheit war links-grün(liberal). Vor allem aber leitete mit Peter Neukomm ein Finanzreferent mit einem grossen Interesse an gemeinnützigem Wohnraum die Immobiliengeschäfte der Stadt. In dieser Zusammensetzung beschloss der Stadtrat, die grossen Liegenschaften zu kaufen, um den gemeinnützigen Wohnraum für weit über 100 Personen erhalten zu können. Peter Neukomm hatte auch eine Idee für die Zukunft der Liegenschaften: Eine von der Stadt zu gründende Stiftung sollte die Wohnungen weiterhin nach den Prinzipien des gemeinnützigen Wohnens, also ohne Profitziel, vermieten.
Zweiter Akt: Neue Mehrheiten
Im Juli 2014 versprach Peter Neukomm im «az»-Interview noch eine Vorlage zur Schaffung dieser Stiftung, doch mit der Ersatzwahl für den zurückgetretenen Stadtpräsidenten Thomas Feurer kam alles anders: Daniel Preisig wurde in den Stadtrat gewählt, die Mehrheit tickte ab 2015 bürgerlich, Peter Neukomm wurde Stadtpräsident und gab die Finanzen – und damit die Immobilien – an Preisig ab.
Es dauerte nicht lange, bis die neue Zusammensetzung des Stadtrats Wirkung zeigte. Im Mai 2015 präsentierte der Stadtrat seine neue «Vier-Säulen-Strategie» zur Förderung des gemeinnützigen Wohnraums. Von einer städtischen Stiftung war keine Rede mehr. Die Stadt fördert gemäss der neuen Strategie Wohnbaugenossenschaften weiterhin nur mit günstigeren Zinsen bei Baurechtsvergaben und tritt «als Drehscheibe und Vermittlerin im Liegenschaftsmarkt mit Steuerungsfunktion» auf.
Dritter Akt: Auftritt Schlatter
Die Ausgangslage war also die folgende: Die Stadt hatte für viel Geld gemeinnützigen Wohnraum gerettet und diesen in eine Stiftung überführen wollen. Nachdem der politische Wind im Stadtrat gedreht hatte, war die Stiftung vom Tisch, aber die Stadt besass die Liegenschaften weiterhin.
Parallel dazu wurde Hermann Schlatter aktiv. Der SVP-Grossstadtrat hatte bereits nach dem Kauf der Liegenschaften mit einer Interpellation bemängelt, der Stadtrat gebe viel Geld aus, ohne dass sich das Parlament oder die Bevölkerung zur Strategie des Stadtrats je hätten äussern können. Der Streit um die richtige Verwendung des Rahmenkredits war damit lanciert: Auf der einen Seite stand Hermann Schlatter, der sagte, die Käufe seien «nicht vom Zweck des aktuellen Rahmenkredits abgedeckt» und die Verwaltung der Liegenschaften seien «ganz klar nicht Aufgabe der öffentlichen Hand», auf der anderen Seite Peter Neukomm, der die Käufe als richtig und dem Zweck des Rahmenkredits entsprechend verteidigte.
Hermann Schlatter war nach der Ratsdebatte über seine Interpellation nicht zufrieden mit den Antworten Neukomms und kündete an, in der Geschäftsprüfungskommission (GPK) rechtliche Abklärungen zu verlangen. Mehrmals brachte er das Thema in der GPK auf den Tisch. Das Ergebnis war zunächst nicht in Schlatters Sinn; das kantonale Amt für Justiz und Gemeinden erklärte, es sei nicht zuständig, und der Rechtsdienst der Stadt kam zum Schluss, die Käufe hätten durchaus dem Sinn und Zweck des Rahmenkredits entsprochen und könnten auch von der Stadt vermietet werden, was die Argumentation Neukomms stützte.
Vierter Akt: Das Gutachten
Doch Hermann Schlatter blieb hartnäckig und regte an, das eingangs erwähnte Gutachten bei Meinrad Gnädinger in Auftrag zu geben, das nun vorliegt. Der pensionierte Jurist Gnädinger ist ehemaliger Sekretär des kantonalen Finanzdepartements und hatte im Auftrag der Stadt zuletzt die von der «az» publik gemachte Münzaffäre im Altersheim Kirchhofplatz untersucht. Nun befasste er sich im Auftrag der GPK mit dem Rahmenkredit und den gekauften Genossenschaftsliegenschaften.
Meinrad Gnädinger kam zum Schluss, es existiere keine ausreichende rechtliche Grundlage, um die Grundstücke im Eigentum der Stadt zu behalten. In der Konsequenz gibt es für die Zukunft der gekauften Liegenschaften zwei mögliche Wege: Entweder die Stadt schafft eine rechtliche Grundlage, um die Grundstücke als gemeinnützigen Wohnraum selber zu verwalten. Das hätte der ursprünglichen Idee Neukomms entsprochen. Oder aber die Stadt muss die Liegenschaften wieder abgeben. Auf welchen Weg der aktuelle Stadtrat setzt, ist keine Überraschung.
Das Finanzreferat unter Daniel Preisig ist im Kontakt mit dem Regionalverband der gemeinnützigen Wohnbauträger. «Das Ziel ist, den gemeinnützigen Wohnraum zu erhalten», sagt Preisig, dafür könnten gemäss der Strategie des Stadtrats und des Gnädinger-Gutachtens Liegenschaften gekauft und wieder «an geeignete gemeinnützige Trägerschaften» verkauft werden. Das würde im Fall der vier Liegenschaften heissen: Eine Genossenschaft kauft die Gebäude, das Land bleibt im Besitz der Stadt und wird im Baurecht abgegeben. «Am liebsten würden wir die Liegenschaften als Gesamtpaket einer bestehenden Wohnbaugenossenschaft übergeben», sagt Christian Di Ronco, Präsident des Regionalverbandes der Wohnbaugenossenschaften. Mit «am liebsten» ist auch schon angetönt, dass es eine weitere Option gibt: «Eine Möglichkeit wäre die Gründung einer neuen Genossenschaft, an der sich die bestehenden Genossenschaften beteiligen könnten.» Demnächst erhalten laut Di Ronco die Präsidenten der 17 dem Regionalverband angeschlossenen Mitglieder Gelegenheit, sich dazu zu äussern, ob sie Interesse an einer Übernahme oder Beteiligung haben.
Fünfter Akt: Happy End?
Diesen Weg scheinen derzeit alle Akteure akzeptieren zu können: Hermann Schlatter ist zufrieden damit, dass sich die Leseart durchgesetzt hat, dass die Stadt Liegenschaften zwar kaufen könne, aber wieder an geeignete Träger abgeben müsse. Am anderen Ende des Spektrums steht Martin Jung von der AL. Er sitzt Schlatter in der GPK gegenüber und ist einer der Architekten der beiden wohnraumpolitischen AL-Initiativen von denen eine im April abgelehnt, die andere bald wieder zum Thema im Grossen Stadtrat wird.
Auch Jung, der einst auf die von Neukomm versprochene städtische Stiftung gehofft und der Idee mit einer Interpellation Nachdruck verliehen hatte, sagt heute: «Für mich sind beide Wege gangbar, sowohl ein stärkeres Engagenemt der Stadt als auch die Abgabe an eine allenfalls noch zu gründende Genossenschaft.» Sein zentrales Anliegen sei, dass der gemeinnützige Charakter mit Kostenmieten bei den vier Liegenschaften erhalten bleibe. Zum Thema einer allenfalls neu zu gründenden Genossenschaft sagt Martin Jung: «Eventuell könnte sich ja die Stadt an dieser beteiligen.» Und überraschenderweise signalisiert Hermann Schlatter Kompromissbereitschaft: «Ich könnte mir vorstellen, dass sich die SVP hinter eine solche Idee stellen würde.» Auch der Finanzreferent ist nicht völlig abgeneigt: Zwar könne die Stadt nicht «die treibende Kraft» hinter einer neuen Genossenschaft sein, «aber der Stadtrat schliesst eine Beteiligung nicht aus».
Nach einem jahrelangen Deutungsstreit mit harten Debatten im Parlament, Widerstand gegen die Linie des Stadtrats in der Geschäftsprüfungskommission, mehreren Interpellationen und Volksinitiativen scheinen sich – zumindest was die Zukunft der vier Genossenschaftsliegenschaften angeht – alle Beteiligten auf einen Kompromiss einigen zu können. So funktioniert Politik manchmal. Ob die Minne anhält, wenn im Zusammenhang mit dem Gegenvorschlag zur AL-Initiative der Rahmenkredit erneut zum Thema wird, steht aber auf einem anderen Blatt.