Die Schlinge zieht sich zu

13. Oktober 2016, Romina Loliva
Das Personal der URh soll schlechteren Arbeitsbedinungen zustimmen, weil das Unternehmen defizitär ist. Foto: Peter Pfister
Das Personal der URh soll schlechteren Arbeitsbedinungen zustimmen, weil das Unternehmen defizitär ist. Foto: Peter Pfister

Die URh braucht Geld und muss sparen. Darum hat man einen Sanierer geholt. Dieser will den Firmenarbeitsvertrag des Personals verschlechtern und übt Druck aus. Die Belegschaft macht nicht mit.

Die Schifffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein – kurz URh – braucht Geld. Der Verwaltungsrat vermerkte im Geschäftsbericht 2015 lapidar: «Die URh hat ein strukturelles Defizit. Bei wiederholtem witterungs- und wasserstandsbedingtem Rückgang der Verkehrserträge kann der Betrieb und Unterhalt der Flotte aus eigenen Mitteln nicht mehr gewährleistet werden.» Der Verlust betrug letztes Jahr 465’368.26 Franken, und eigentlich stünden bis 2020 Investitionen von rund 2,5 Millionen Franken an. Die MS Schaffhausen und die MS Arenenberg benötigen eine Rundumerneuerung, ohne die technische Aufrüstung können die Schiffe bald nicht mehr fahren. Für die URh wäre das eine Katastrophe, denn weniger Schiffe heisst weniger Fahrten und weniger Passagiere, also auch weniger Einnahmen. Das Unternehmen ist in seiner Existenz – als Aktiengesellschaft mit einer Mehrheitsbeteiligung der öffentlichen Hand von über 60 Prozent – bedroht. Darum hat der Verwaltungsrat, vom Schaffhauser Regierungsrat Reto Dubach (FDP) präsidiert, eine Sanierung eingeleitet, die im Wesentlichen aus drei Teilen besteht: Die URh muss ihr Ergebnis verbessern, die Kantone Thurgau und Schaffhausen gewähren ein Darlehen von gesamthaft 1,25 Millionen Franken, und das Aktienkapital wird um eine halbe Million erhöht. Die Kapitalerhöhung wurde von der Generalversammlung im Mai dieses Jahres beschlossen, die Kantone haben eine Vorlage betreffend Darlehen zuhanden der kantonalen Parlamente verabschiedet, die URh wird von einem Sanierer unter die Lupe genommen. Es scheint, als würde Ruhe einkehren.

Eine halbe Million sparen
Nicht ganz. Die Sanierungsmassnahmen bei der URh gehen nämlich nicht glatt über die Bühne. Weil das Wetter sich nicht steuern lässt und man darum nur beschränkt auf die Passagierzahlen Einfluss nehmen kann, muss das Unternehmen finanziell abspecken, um das Sanierungsziel zu erreichen: Die URh soll jährlich bis zu 500’000 Franken weniger kosten. Und diese Einsparungen können am einfachsten beim Personal gemacht werden. Sanieren heisst in der Regel entlassen. Und da kommt der Sanierer Benno Gmür ins Spiel, der vom Verwaltungsrat mit einer Verhandlungsvollmacht betraut wurde. Die Kantone stellen das Darlehen in Aussicht, erwarten jedoch eine «Vorleistung des Personals» als Vorbedingung. Deshalb hat Gmür Neuverhandlungen des Firmenarbeitsvertrags angesetzt. Im Klartext: Das Personal soll Verschlechterungen der heutigen Arbeitsbedingungen akzeptieren.

Sein Gegenspieler, der das Personal vertritt, ist die Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV. Von der mittlerweile auf 18 Personen geschrumpften Belegschaft – fünf Mitarbeitende wurden bereits entlassen, zwei haben von sich aus gekündigt – sind über die Hälfte SEV-Mitglieder, und die Gewerkschaft ist der anerkannte Sozialpartner für den Firmenarbeitsvertrag (ein Gesamtarbeitsvertrag für das Unternehmen). Das heisst, ohne SEV geht nichts. Das weiss auch Benno Gmür, der 2009 bereits die Schweizerische Bodensee-Schiffahrt AG (SBS) saniert hat und es damals schon mit der Gewerkschaft zu tun bekam (siehe Kasten Seite 5). Die Verhandlungen, die im Mai begonnen haben, sind ins Stocken geraten, die Belegschaft hat am 20. September an einer Personalversammlung die Forderungen der URh einstimmig abgelehnt. SEV-Sekretär Felix Birchler, der für das Personal die Verhandlungen führt, erklärt die Situation so: «Im Sinne einer konstuktiven Sozialpartnerschaft sind wir in die Verhandlungen eingestiegen. Das Personal der URh sieht durchaus ein, dass Massnahmen gegen die finanzielle Schieflage des Unternehmens ergriffen werden müssen. Darum haben wir von Anfang an gesagt, dass wir uns an der Sanierung beteiligen wollen. Was wir erlebt haben, kann man aber nicht Verhandlungen nennen.»

«Da ist die Tür»
Das bestätigt auch ein Angestellter der URh, der lieber anonym bleiben möchte: «Benno Gmür weiss, wie es geht. Er will nicht verhandeln, sondern bestimmen. Und er hat damit gedroht, die URh in Konkurs gehen zu lassen, wenn wir nicht einlenken.» Der Mitarbeiter beschreibt Gmür als unerbittlich und aggressiv, er mache den Leuten Angst: «Er meinte, da ist die Tür, wer nicht mitzieht, kann gehen.» Konkret verlangt Gmür die Streichung von Pausen und Ferientagen, die Reduktion von Auf- und Abrüstzeiten und der Entschädigung für die An- und Abreisezeit (die Schiffe starten in Schaffhausen und in Kreuzlingen), die Reduktion von Dienstaltersgeschenken und die Abschaffung des jetzigen Lohnsystems mit Lohnbändern. Zudem soll die URh vermehrt auf Saisonniers und Praktikantinnen und Praktikanten setzen.

Kantone geben Sparziel vor
Werde das alles nicht akzepztiert, würden die Kantone der URh kein Geld zur Verfügung stellen, so die Drohung von Gmür laut Felix Birchler: «Dass man die Verschlechterung des Vertrags an das Darlehen der Kantone knüpft, ist doch recht aussergewöhnlich. Die öffentliche Hand hat die Pflicht, gute Arbeitsbedingungen zu fördern, wo Gesamtarbeitsverträge bestehen.» Darum hat sich Birchler im Namen des Personals mit einem Brief an die Regierungen der Kantone Schaffhausen und Thurgau gewandt und die Bereitschaft zur Neuverhandlung des Vertrags beteuert: «Aber wir müssen wirklich verhandeln und nicht nur Ja oder Nein sagen können zu den Extremforderungen des Sanierers.» Gemäss Birchler haben sich die Regierungen bis jetzt nicht inhaltlich geäussert, obwohl der Verwaltungsrat den 13. Oktober als Frist für den Verhandlungsabschluss gesetzt habe. Ist das Vorhaben gescheitert?

Reto Dubach meint auf Anfrage der «az»: «Die Rechnung der URh umfasst zu einem grossen Teil Personalausgaben. Deshalb lässt es sich nicht vermeiden, dass auch in diesem Bereich substanzielle Verbesserungen erzielt werden müssen, um die Rechnung der URh nachhaltig zu verbessern. Aber auch künftig sollen den URh-Mitarbeitenden marktgerechte, faire Arbeitsbedingungen angeboten werden. Zurzeit laufen die Verhandlungen zwischen den Vertragspartnern, die URh wartet nun auf eine konkrete und konstruktive Reaktion der Belegschaft. Mir tun die Massnahmen zur Sanierung der URh weh. Doch ohne diese Massnahmen wäre der Weiterbetrieb der URh infrage gestellt. Deshalb nehmen der Verwaltungsrat und das Management der URh mit der eingeleiteten Sanierung des Unternehmens nicht nur ihre Verantwortung wahr, sondern sie handeln auch im Interesse der Mitarbeitenden.»