Die Revolution ist nicht billig

13. Oktober 2016, Mattias Greuter
Nachdenklich und kämpferisch: Konstantin Wecker. Foto: Peter Pfister

Auch im Alter von 69 ist der Liedermacher Konstantin Wecker seinen Idealen treu geblieben. Sein kraftvoller Auftritt begeistert linke Geister – doch welches Publikum leistet sich den Eintrittspreis von 65 Franken?

Bis auf den letzten Stehplatz war die Kammgarn am vergangenen Freitag besetzt, selbst auf der Treppe und auf der Galerie im oberen Stockwerk gab es fast kein Durchkommen mehr. Gegen 700 Fans freuten sich auf das Konzert von Konstantin Wecker, und dieser lieferte eine abwechslungsreiche Show, der man keine Sekunde anmerkte, dass einer der grössten deutschen Liedermacher stramm auf die 70 zugeht. Während über drei Stunden mischten er und seine Band alte Klassiker aus dem Wecker-Repertoire mit Neuem und Überraschendem, nachdenkliche Gedichte mit mitreissendem Bluesrock. «Revolution» heisst Weckers neues Programm, und deren Barde zeigt sich auf der Bühne kämpferisch, wie eh und je dem Anarchismus, einer grenzenlosen Gesellschaft und dem gewaltfreien Widerstand gegen das kapitalistische System verpflichtet – grossartig. Doch etwas stört, und schliesslich ruft Wecker selbst in den Worten von Stéphane Hessel von der Bühne: «Empört euch!»

Konzert für das Establishment
«Je älter ich werde, desto punkiger werden die Läden, in denen ich spiele», hat Konstantin Wecker zu Beginn des Konzerts gesagt, doch was an der Kammgarn an diesem Abend «punkig» sein soll, lässt sich nicht ausmachen. Es dauert fast zwei Stunden, bis dieses Publikum, bei dessen Anblick man eher an linkes Establishment als an Revolution denkt, in Fahrt kommt. Beim ersten kämpferischen Lied streckt ein einziger Konzertbesucher seine Faust in die Höhe, der Altersdurchschnitt liegt, vorsichtig geschätzt, etwas über 50. Das hat ohne Zweifel mit dem Eintrittspreis zu tun: Der Barde der Revolution besingt diese für 65 Franken pro Person, für Studenten gibt es die fast zynisch anmutende Reduktion auf 60 Franken – trotz freundlicher Unterstützung der Amsler-Stiftung. So viel zum «grossen Herz für Träumer und Versager», von dem Wecker spricht. Während er gerade «des ist die Anna Anna Anna, die Anarchie, das ist für mich die schönste Melodie» singt, beginnt das Publikum auch noch zu schunkeln und im Takt zu klatschen – kurz wähnt man sich an einem Musikantenstadel für Linke.

Diese Dissonanz zwischen dem, wofür Wecker steht, und denen, die ihm zuhören, ist nicht leicht zu verdrängen. Und so fällt der Blick, als er an seine Söhne gerichtet «trag nie eine Uniform» singt, auf den jungen Sicherheitsmann, der mit Kampfstiefeln an den Füssen neben dem Bühneneingang steht. Und während sich Wecker über die High Society mokiert, die an der Düsseldorfer Königsallee einkauft («Damen von der Kö»), fällt auf, dass man seine Gage mit dem in der Kammgarn versammelten Schmuck vermutlich problemlos hätte bezahlen können.
Bitte nicht falsch verstehen: Konstantin Wecker, der einst bis über beide Ohren in Schulden steckte, soll durchaus eine anständige Gage verlangen können, und es ist schön zu sehen, wie sich ein paar Hundert Arrivierte einen Abend lang an ihr einst revolutionäres Gedankengut erinnern. Doch die jungen Leute, welche die Revolution, von der Wecker träumt, anzetteln müssten, sie tanzen vermutlich nebenan im TapTab, wo sie für 18 Franken, beziehungsweise Studenten für 13, drei Metal-Bands geboten kriegen.

Eine Kraft, die Mut macht
Die Versöhnung kommt mit «Revolution». Konstantin Wecker spielt das namensgebende und ohne Zweifel stärkste Stück seines (im doppelten Sinn) aktuellen Programms als erste von zahlreichen Zugaben. Von diesem unverzagten Barden und Träumer, der ohne jede Spur von Altersmilde die Herrschenden anklagt, Ungehorsam predigt und Ungerechtigkeiten ans Licht der Scheinwerfer zerrt, unter denen er nicht zu altern scheint und radikal bleibt, geht eine Kraft aus, die Mut macht. Konstantin Wecker schafft es gegen Ende des Konzerts, dass sich das Publikum richtig mitreissen lässt. Inzwischen sind sogar vier erhobene Fäuste zu sehen.