Eine neue Generation auf und neben der Tanzfläche: Selim Schivalocchi entdeckte schon früh die Turntables im Orient, dem Club seines Vaters. Heute gibt dort der Sohn den Ton an.
Wer das Wochenende schon am Donnerstag nicht mehr abwarten kann, findet es mitten in der Altstadt: im Orient. Zumindest bis vor wenigen Jahren war das so – dort, wo vor langer Zeit einmal das Schlachthaus des Restaurants Oberhof war, wo im «Tonfilm Theater Orient» das Neueste aus Hollywood über die Leinwand flimmerte, wo es lange Jahre Discountware zu kaufen gab und wo die wohlbekannte Leuchtschrift an der Fassade endlich die Nachtschwärmer anzog. Seit zwanzig Jahren wird getanzt an der Stadthausgasse 13, aber die Zeiten ändern sich.
Als Metin Demiral das Orient 1995 zu einem Club umbaute, war sein Sohn Selim Schivalocchi acht Jahre alt. Ein paar Jahre später entdeckte der Teenager die Hip-Hop-Szene für sich: «Es war natürlich naheliegend, die Turntables auszuprobieren.» Mit seinem besten Freund Armin Sommer bildete er die ziemlich erfolgreiche DJ-Combo «Sab & Sosza», bevor die beiden als «Selim & Armin» in der Schweizer House-Szene auflegten. Die Musik habe sich in den letzten zehn Jahren konstant durch sein Leben gezogen: «Sie war unser Lebensinhalt, wir haben sie über ziemlich alles gestellt.» Das sei nun vorbei, die Dinge hätten sich geändert, die Prioritäten verschoben – zum Glück, sagt Selim Schivalocchi: «Der Lifestyle, den die DJ- und Partyszene mit sich zieht, hat nicht mehr gepasst. Wir kamen an einen Punkt, an dem wir uns rausnehmen mussten, weil das alles sehr vereinnahmend war.»
Sprung ins kalte Wasser
Im Frühling dieses Jahres hat Metin Demiral den Oberhof erneut übernommen, Selim Schivalocchi konnte seine bisherigen Stellenprozente aufstocken. Er ist für Booking, Programm und Kommunikation des Orients verantwortlich, übernimmt aber auch Aufgaben im Oberhof. War es naheliegend, sich im Club des Vaters zu engagieren? Teilweise schon, meint der 29-Jährige: «Durch mein persönliches Interesse wäre ich so oder so irgendwo in der Kulturbranche gelandet.» Seit Anfang Juni arbeitet Schivalocchi nun Vollzeit im Orient. Anfangs sei es turbulent gewesen: «Ich wurde schon ein wenig ins kalte Wasser geworfen und es gibt nach wie vor Dinge, die noch nicht so koordiniert ablaufen. Aber es pendelt sich langsam ein.»
Pioniere im Norden
Schivalocchis Arbeit bleibt nicht unbemerkt: Wo das Orient in den letzten Jahren vor allem ein Partyclub war, stehen heute erfreulicherweise vermehrt Konzerte und andere kulturelle Veranstaltungen auf dem Programm. Sie seien allerdings schon immer Bestandteil des Orients gewesen, betont er: «Wir waren mit die ersten, die Rapkonzerte mit Schweizer Künstlern durchführten, und organisierten regelmässig Liveproduktionen.» Er sehe den Club in einer Vorreiterrolle, als Trendsetter und auch Förderer von Subkulturen wie Hip-Hop und Techno (das Orient war der erste House-Club der Ostschweiz). «Wir sind eigentlich nie auf den schon fahrenden Zug aufgesprungen.» Diese Tatsache sei allerdings nicht wahrgenommen worden, oder man habe sie nicht wahrnehmen wollen, sagt Schivalocchi: «In dieser Hinsicht fristeten wir ein etwas stiefmütterliches Dasein – Schaffhausen braucht eben immer ein bisschen länger, bis es aufwacht.» Das gelte übrigens auch für die Medien, fügt er an. Schaffhausen biete viel Kultur, das sollte man zu schätzen wissen. In Städten mit vergleichbarer Grösse finde man dieses Angebot nicht: «Wir müssen uns kulturell wirklich nicht verstecken.»
Schon lange also verfolgt das Orient den Anspruch, seinen Teil zur Schaffhauser Kulturlandschaft beizutragen.
Es gibt aber auch einen pragmatischen Grund für das neue, kulturelle Programm: «Drei Tage wach» – dieses Motto hielten noch vor wenigen Jahren viele Orient-Gäste hoch in die Luft. Der berühmte Donnerstagabend sorgte mit freiem Eintritt für eine volle Tanzfläche. Job oder Schule am nächsten Morgen? Ging auch in mehr oder weniger berauschtem Zustand.
Doch die Gewohnheiten der Schaffhauserinnen und Schaffhauser haben sich verändert, die Leute wählen spezifischer. Man geht kaum mehr drei Tage am Stück in den Ausgang. Das bekam auch das Orient zu spüren: «Wir haben unseren berühmten Party-Donnerstag verloren, was eine Jahreseinbusse von 33 Prozent bedeutet. Auch freitags gehen die Leute nicht mehr so oft weg, sodass uns eigentlich nur noch der Samstag bleibt.»
Neue Konzepte mussten her, um den Verlust aufzufangen: «Wenn die Leute nicht mehr mit Partys abzuholen sind, muss man es anders versuchen.» Die kulturellen Veranstaltungen wie Bernie Ruchs Jazzprojekt oder Loris Brütschs Zauber- und Open-Stage-Shows seien zwar keine Kassenschlager, fänden aber Anklang und ergänzten sich gut mit Partyformaten wie der «Tanzbude», die nach wie vor viele Feierwillige anziehen. «Das eine geht ohne das andere nicht, und gerade die kommerzielle Schiene ist natürlich essentiell für den Club.» Man müsse wohl einen guten Mittelweg finden zwischen Club und Kultur, auch wenn die eher kommerziellen Formate vielleicht nicht dem persönlichen Anspruch an Musik genügten.
Lieber online als im Club
Die Donnerstag- und Freitagabende sind also die Sorgenkinder des Clubs, während die Samstagsevents sehr gut ankommen. Woran liegt das? Gehen die Leute lieber nach Winterthur oder Zürich in den Ausgang? Selim Schivalocchi vermutet die Gründe woanders: «Ein wichtiger Faktor sind sicherlich die Social Media. Früher ging man in den Ausgang, um Leute kennenzulernen, heute muss man dafür nicht einmal mehr vor die Tür – man findet sich auf Facebook.» Ein weiterer möglicher Grund sind wohl die gestiegenen Anforderungen an den Job: Die jungen Leute scheinen seriöser geworden zu sein, Ausbildung und Arbeit haben einen höheren Stellenwert bekommen. «Auch ich hatte früher mehr Flausen im Kopf», erinnert sich Schivalocchi, «es drehte sich alles um die Musik und das Nachtleben.» Er könne allerdings nicht genau sagen, wie heute gefeiert wird. Tatsächlich weniger? Oder vielleicht konzentrierter?
Er wolle das nicht pauschalisieren, aber es scheine ausserdem so, als seien die jungen Erwachsenen oberflächlicher geworden. «Sich einer Sache wirklich hinzugeben, der Musik zum Beispiel, findet heute viel weniger statt. Der Anspruch, eine Band live zu sehen, ist kaum mehr da – anstatt sie zu kaufen, findet man die Songs gratis auf Youtube.»
Die Zeiten ändern sich
Diesem Trend versucht Selim Schivalocchi mit einer neuen Programmvielfalt entgegenzuwirken. Durch seine Erfahrung im Bereich Kulturmanagement bringt er neue Konzepte ins Orient: «Ich bin etwas strukturierter und sehe manche Dinge anders.» Das führe manchmal zu Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und seinem Vater, der ja immer noch Geschäftsführer des Clubs sei. «Meinem Vater war es durch die Umstände des sich stark veränderten Marktes nicht mehr möglich, ein adäquates Programm zu erstellen. Er war der Patron, der alle Fäden zog.» Ein solches Modell sei jedoch nicht mehr zeitgemäss. Hinter jedem Club stehe ein Team, so jetzt auch im Orient. Ausserdem sei es in Schaffhausen anspruchsvoller, einen Club zu führen, als etwa in Zürich. Dort sei der Markt viel grösser, man müsse weniger bis gar nicht auf die Konkurrenz achten. «Damit wir niemanden direkt konkurrenzieren, sprechen wir uns mit den Veranstaltern in Taptab und Kammgarn ab», sagt Schivalocchi. Das funktioniere nur, wenn man Kompromisse eingehe. Trotzdem mag er den Schaffhauser Kulturkuchen: «Er ist familiär, man kennt sich und hat ein gutes Verhältnis zueinander.»
Wie er sich die Zukunft des Orients vorstelle, sei schwierig zu sagen. «Die Szene ist extrem schnelllebig. Aber ich denke, wir sind auf einem guten Weg und werden nicht mehr nur als ‹Disco-Orient› wahrgenommen, sondern als breitgefächerte, vielseitige Kulturinstitution.»