«Wie eine kleine Nationalmannschaft»

29. September 2016, Jérôme Ehrat
Edmond Kabashi erhält von Trainer Seeberger letzte taktische Anweisungen. Foto: Peter Pfister

Ein Matchbericht über ein Spiel der 2. Liga Interregional vor 350 Zuschauern? Im Ernst? Durchaus, denn die Gäste sind eine Ausnahmeerscheinung im Schweizer Fussball – und sie bringen Jürgen Seeberger mit.

FC Schaffhausen 2 – FC Kosova Zürich, 7. Spieltag der 2. Liga Interregional, Gruppe 6. Champions League klingt anders. Zumindest für hartgesottene Fussballenthusiasten wartet die Affiche aber doch mit der einen oder anderen Besonderheit auf.

Erstens kommt mit dem FC Kosova ein Verein auf die Breite, der sich in vielerlei Hinsicht von seinen Ligakonkurrenten unterscheidet, zweitens werden die Kosovaren seit letzter Woche von einem alten Bekannten trainiert: Mit der Verpflichtung von Ex-FCS-Boss Jürgen Seeberger ist der Vereinsleitung um Sportchef Nesret Limani ein regelrechter Coup geglückt. «Seine Fachkenntnis ist einfach brutal», attestiert dieser während der Schlussphase des Spiels auf der gutbesetzten Haupttribüne, «die grosse Erfahrung und seine Erfolge als Trainer sprechen für sich.»

Die angesprochenen Erfolge feierte der glatzköpfige Konstanzer allem voran in Schaffhausen. Während seiner sieben Jahre auf der Breite führte er die Gelb-Schwarzen von der 1. Liga in die damals für Namensrechtsinvestoren noch uninteressante Nationalliga A (heute Raiffeisen Super League) und konnte dort die Klasse zwei Saisons lang halten. Kaum ein Schaffhauser, der während Seebergers Zeit an der Seitenlinie nicht zumindest einmal «döt gege Basel» oder «wo de FCZ cho isch» im Stadion war.

Nach seiner Zeit beim FCS wurde Seeberger Cheftrainer der Alemannia Aachen, mit der er nur um Haaresbreite den Aufstieg in die Bundesliga verpasste. Es folgten sportlich durchwachsene Jahre mit kurzen Engagements bei der zweiten Mannschaft des VFB Stuttgart, Darmstadt 98 und zuletzt beim FC Winterthur.

Und nun also der FC Kosova aus Zürich. Es sei natürlich eine ganz neue Aufgabe, wieder im Amateurbereich tätig zu sein. Eine Woche sei er jetzt da und versuche sich erst einmal zurechtzufinden. Man müsse sich «das jetzt alles mal anschauen», wiederholt Seeberger beim kurzen Gespräch nach der Partie immer wieder.

Genau das tut der Coach auch während weiter Strecken des Spiels. Er sitzt auf der Bank und schaut sich das Treiben auf dem Rasen kommentarlos an. Was er sieht, hat mit dem, was er während seiner erfolgreichsten Jahre bei Spielen auf der Breite zu Gesicht bekam, wenig zu tun. Die zu jener Zeit immer gut besuchte Gegengerade ist menschenleer. Einzig zwei eifrige Tischtennisspieler sind durch eine der Gitterschranken zu sehen. Für den Fussball interessieren sich die beiden, zumindest heute, nicht die Bohne.

Kosova dominiert
Doch die ruhige Stimmung an diesem warmen Spätsommernachmittag trügt: Seebergers Jungs kommen furios aus den Startlöchern und müssten nach vier Minuten eigentlich schon mit zwei Toren vorne liegen. Der FC Kosova bestimmt von Beginn weg die Gangart und lässt die überforderte Abwehr der FCS-Reserve in der Startphase immer wieder in Panik ausbrechen. Während FCS 2-Trainer Ilija Ljustina wild gestikulierend die Linie hoch und runter läuft, sitzt Seeberger auf der Bank und schaut sich die Sache erst einmal an.

Nach 17 Minuten verpasst der auffällige Labinot Prapashtica die nächste hochkarätige Chance für die Gäste aus Zürich. Flüche auf der Tribüne: «Kurva!» Seeberger: schaut.

Es dauert fast eine halbe Stunde, bis der neue Kosova-Coach das erste Mal an der Seitenlinie zu sehen ist. Habil Jonuzi hat soeben den Ball unbedrängt im Kasten der Munotstädter versenkt. Aufgrund einer Abseitsposition hat der Linienrichter seine Fahne gehoben und die einheimische Verteidigung ihre Arbeit eingestellt. Der Schiri aber befindet, ein Schaffhauser habe den Ball beim entscheidenden Zuspiel als letzter berührt, überstimmt seinen Assistenten und gibt das Tor. Sieht man auch nicht alle Tage.

Ein Grossteil der Zuschauer, die auf der Tribüne Platz genommen haben, feiert den Führungstreffer lauthals, die Kosova-Fans sind deutlich in der Überzahl. «An den Auswärtsspielen haben wir eigentlich immer 200 bis 300 Leute dabei», erklärt Adin Shabani, der in einer der vordersten Reihen der Haupttribüne Platz genommen hat. «Das sind unsere Kollegen und Brüder auf dem Platz, und wir lieben einfach den Fussball. Deshalb sind wir hier.»

Plötzlich kann sich Prapashtica abermals auf der rechten Angriffsseite durchsetzen und die Kugel zurücklegen. Aus zehn Metern hämmert Valon Ahmetaj das Ding in die Maschen. Zwei zu null.

Heimat vor Familie
«Ko-so-va! Ko-so-va!», schallt es von einer Gruppe Kinder herüber, die sich das Spiel von den sonnigen Stehplätzen aus ansieht. Die zehnjährige Jonila erzählt während der Pause, sie hoffe auf einen Sieg der Gäste. Dass ihr Cousin beim FCS spielt, ändere daran nichts. «Im Herzen bin ich aus dem Kosovo.»

Zurück auf der Tribüne, pflichtet ihr Arianit Hyseni, der Sohn des Vereinspräsidenten, bei: «Die Spieler sind unsere Landsleute, wir identifizieren uns mit ihnen. Deshalb sind bei den Spielen auch so viele Fans dabei. Wir sind wie eine kleine Nationalmannschaft.» Zu den regelmässigen Besuchern der Partien würden sich bei Auswärtsspielen zusätzlich auch immer viele Fans aus der Region dazugesellen. «Sicher die Hälfte aller Zuschauer, die heute hier sind, wohnt in Schaffhausen.»

Nicht nur auf den Rängen erfreut sich der Verein grosser Beliebtheit. Neben Seebergers Mannen gibt es eine zweite Aktiv- und eine Seniorenmannschaft sowie sechs Juniorenteams. Beeindruckend für einen Club, der Mitte der Neunziger primär mit dem Ziel gegründet wurde, jungen albanischen Flüchtlingen ein positives und gesundes Umfeld zu bieten. «Damit sie keine Dummheiten machen», wie Hyseni sagt.

Bald war die erste Mannschaft mehr als ein Sozialprojekt. Man marschierte durch die Amateurligen der Schweiz und feierte in der vorletzten Saison den bisherigen Höhepunkt der Vereinshistorie: den Aufstieg in die 1. Liga Classic. «Die Aufstiegssaison war Wahnsinn. Wir hatten zeitweise 1500 Fans an unseren Spielen», schwelgt Sportchef Limani in Erinnerungen. Nach nur einer Saison war in diesem Sommer das Märchen allerdings vorbei, der FC Kosova stieg wieder ab.

Die 2-0 Pausenführung sorgt bei den kosovarischen Fans auf der Tribüne für gute Laune. Lauthals wird zu Beginn der zweiten Hälfte praktisch jeder Schaffhauser Pass mit einem sarkastischen «Abseits!» kommentiert. Während Hyseni und seine Kollegen halbwegs ernsthaft von FC-Kosova-Spieler Deni Krleski, dem «grössten Talent im Schweizer Fussball» schwärmen, geht’s auf dem Platz plötzlich Schlag auf Schlag. Innerhalb von sechs Minuten verkürzt erst Fabio Schmocker auf 1-2, bevor FCS-Altmeister Toni Dos Santos einen Foulelfmeter zum Ausgleich verwandeln kann. «Kurva!»

Und was macht Seeberger? Der schaut sich die ganze Sache an, inzwischen zwar immer häufiger stehend, aber noch immer äusserst wortkarg.

In der letzten halben Stunde gibt’s dann nur noch laue Fussballkost. Kaum Bewegung ohne Ball, viele Fehlpässe, keine überraschenden Zuspiele mehr in die Spitze, immer wieder Spielunterbrüche. Die Luft ist bei beiden Mannschaften raus.

Hochfliegende Ziele
So bleibt’s bis zum Abpfiff beim 2-2. Ein glücklicher Punkt für die Hausherren, für die Kosovaren eine kleine Katastrophe. Sie rutschen auf den fünften Tabellenrang ab und liegen nach sieben Spielen schon sechs Punkte hinter dem erstplatzierten FC Freienbach, den man diesen Sonntag in Zürich zum Duell erwartet.

Über die Marschrichtung scheint man sich bei den Zürchern aber einig zu sein: «Wir wollen dieses Jahr wieder aufsteigen», erklärt Adin Shabani noch während der ersten Hälfte. «Unser Ziel ist es, in der ersten Liga durchzumarschieren und uns in der Promotion League zu etablieren», setzt dem Arianit Hyseni einen drauf.

Und Seeberger? Der muss sich die ganze Sache erst einmal anschauen.