Das Projekt «Volksschule aus einer Hand» gab bereits während der ESH4-Debatte zu reden. Die «az» veröffentlicht nun Details aus dem Vorhaben, das zu massiv höheren Einsparungen führt als gedacht.
Die Schule ist wie die Kirche, eigentlich will man sie im Dorf lassen. Kinder, die zur Schule schlendern, Lehrerinnen, die nebenan wohnen, Eltern, die einen Kuchenverkauf organisieren – sich des idyllischen Bilds der Schule als Herz einer Gemeinde zu entledigen, fällt den Schaffhauserinnen und Schaffhausern schwer.
Strukturelle Veränderungen wurden vom Stimmvolk bis jetzt deutlich abgelehnt. Sowohl 2009 wie 2012 scheiterten Regierung und Kantonsrat mit dem Versuch, geleitete Schulen flächendeckend einzuführen und die Strukturen der Volksschule zu reformieren. Dennoch bleibt die Reorganisation der Schule ein Dauerthema, wenn nicht aus pädagogischen, dann aus finanziellen Gründen.
Sparauftrag 4,5 Millionen
Die schulische Betreuung von heute 7’768 Schülerinnen und Schülern im Kanton Schaffhausen kostet einiges. Die gesamten Bildungsausgaben belaufen sich auf rund 125 Millionen Franken pro Jahr, für das Jahr 2017 prognostiziert der Regierungsrat Ausgaben in der Höhe von 127,3 Millionen Franken oder rund 21 Prozent der öffentlichen Ausgaben. Vergleicht man diese Werte mit jenen der anderen Kantone, muss man allerdings feststellen, dass Schaffhausen keineswegs zu den Spitzenreitern bei den Bildungsausgaben gehört. Gemäss Bundesamt für Statistik geben lediglich die Kantone Uri, Wallis, Jura, Graubünden und Tessin weniger als 20 Prozent ihrer öffentlichen Finanzen für die Schule aus. Zürich, Thurgau und Basel-Stadt erreichen 30 Prozent und der Kanton Freibourg 31,7 Prozent (Werte von 2013). Trotzdem sieht die Regierung bei der Schule Sparpotenzial. Im Rahmen des ESH4-Pakets präsentierte Erziehungsdirektor Christian Amsler (FDP) unter der Massnahme K-012 das Projekt «Volksschule aus einer Hand», das laut damaligen Berechnungen und Aussagen zu Einsparungen in der Höhe von 4 bis 4,5 Millionen Franken beim Kanton und zu einer kostenneutralen Umsetzung für die Gemeinden geführt hätte.
Die Quintessenz der Sparmassnahme: Die Reorganisation der Volksschule auf kantonaler Ebene und die Verdichtung der Schulorganisation mitsamt Übertragung sämtlicher Aufgaben an den Kanton. Oder anders ausgedrückt: Weniger Schulstandorte, grössere Klassen auf allen Schulstufen, Stellenabbau bei den Lehrpersonen und die Auflösung der kommunalen Schulbehörden. Die faktische Kantonalisierung der Volksschule wäre somit Realität geworden. Mit einem Grundsatzbeschluss beauftragte der Kantonsrat die Regierung, eine Machbarkeitsstudie auszuarbeiten – Kostenpunkt rund 200’000 Franken – und einen Antrag zum Projekt zu unterbreiten. Obwohl der Kantonsrat sich zu diesem Entscheid durchringen konnte, wurde bereits während der Debatte klar, dass es eine Reorganisation der Volksschule auf kantonaler Ebene nicht einfach haben würde, weder im Parlament noch an der Urne.
Drei neue Schulregionen
Aus einem Arbeitspapier der Erziehungsdirektion, das der «az» vorliegt, wird nun ersichtlich, wie die «Volksschule aus einer Hand» aussehen soll, die laut Plan der Erziehungsdirektion ab 2020 Realität würde. Das Modell sieht drei unterschiedlich grosse Schulregionen vor (siehe Bild auf Seite 4): die Region West (Klettgauer Gemeinden), Mitte (Schaffhausen, Neuhausen, Merishausen, Bargen, der obere Reiat, Dörflingen, Rüdlingen und Buchberg) und Ost (Thayngen, Buch, Ramsen, Hemishofen und Stein am Rhein). Die drei Regionen würden einer Regionalleitung unterstehen, die einzelnen Schulstandorte einer Schulleitung. Schulbehörden und Stadtschulrat sind nicht mehr vorgesehen. Die pädagogische Verantwortung würde dem heutigen Erziehungsrat – neu Bildungsrat genannt – anvertraut werden, der aus maximal elf Mitgliedern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Vertretungen der Lehrpersonen und der neuen Schulregionen bestehen soll. Die Lehrpersonen würden sich gemäss Modell neu in einer pädagogischen Konferenz organisieren, die die heutigen Fach- und Stufenkonferenzen ersetzen würde.
Grössere Klassen, weniger Lehrer
Die neue Struktur beinhaltet weiter eine erhebliche Anhebung der durchschnittlichen Klassengrösse. Im Schuljahr 2015/16 lag die Klassengrösse in der Primarschule (ohne Kindergarten) bei 17,5 Schülerinnen und Schülern, auf der Sekundarstufe bei 15,7. In Zukunft strebt man mit dem Modell im Durchschnitt 21 Schülerinnen und Schüler pro Primarschulklasse und 19 pro Sekundarstufenklasse an. Auch wenn die Erziehungsdirektion selbst davon ausgeht, dass sich das nur zu zwei Dritteln realisieren lässt, würde die Veränderung der Klassengrösse einen Stellenabbau um 40 bis 60 der heutigen 640 Vollzeitstellen für Lehrpersonen bedeuten, was einem Abbau um bis zu 9,4 Prozent gleichkommt.
Effektiv 7,5 Millionen
Die tiefgreifende Umgestaltung der Volksschule würde nicht nur die Strukturen radikal verändern, sondern gemäss dem Arbeitspapier auch zu massiv höheren Einsparungen führen. Der Sparauftrag des Kantons, der bei 4,5 Millionen Franken festgesetzt wurde, wird mit dem vorliegenden Modell um mehr als drei Millionen überschritten, was eine gesamte Kostenreduktion um rund 7,5 Millionen Franken bedeutet.
Die «Volksschule aus einer Hand» würde weiterhin von den Gemeinden und vom Kanton gemeinsam getragen werden, jedoch würde der Kanton den Gemeinden neu eine Unterrichtspauschale pro Schülerin und Schüler verrechnen. Die Gemeinden ihrerseits würden jeweils eine Miet- und Investitionspauschale bezahlen oder erhalten, abhängig davon, ob sie eine Schule betreiben oder nicht. Die Schulanlagen und deren Unterhalt an sich würden im Besitz und im Aufgabenbereich der Gemeinden bleiben. Schulhaussanierungen oder Neubauten wären demnach immer noch Aufgaben der Gemeinden.
Das Projekt ist sehr ambitioniert. Um «die Haltung zu den Vorschlägen zu eruieren und Akzeptanz zu gewinnen», wie es im Papier heisst, wurden drei Anlässe mit rund 110 Interessierten durchgeführt. Ob die Schule ab 2020 tatsächlich erheblich anders organisiert sein wird, ist fraglich. Der Umfang der Umstrukturierung lässt erahnen, dass die Interessen der Gemeinden, der Parteien, der Lehrpersonen und der Verwaltung, aber auch der Erziehungsberechtigten aufeinander prallen werden.
Erziehungsdirektor Christian Amsler im Interview mit Romina Loliva
az Christian Amsler, das Modell «Volksschule aus einer Hand» stellt die Schulstrukturen auf den Kopf. Ist das nötig?
Christian Amsler Um eine Vision für die Schule zu entwickeln, müssen wir die Strukturen infrage stellen. Das erarbeitete Modell ist ein Prototyp, der die Stossrichtung aufzeigt und wird nach und nach angepasst werden. Sowohl der Kantonsrat wie auch das Stimmvolk werden schlussendlich darüber befinden. Aber der Handlungsbedarf ist allgemein bekannt, sowohl strukturell wie auch finanziell.
Mit der Verdichtung der Klassen spart der Kanton 7,5 Millionen Franken, 3 Millionen mehr als gedacht. Warum?
Das sind theoretische Werte. Wir haben uns am Schweizer und am Zürcher Durchschnitt orientiert und Klassengrössen eingesetzt, die pädagogisch vertretbar sind. Diese führen im Modell zu einer Kostenreduktion um 7,5 Millionen. Das ist aber nicht in Stein gemeiselt. Es ist nur der Ausgangspunkt für die Diskussion. Wir rechnen auch nicht damit, dass die Klassengrösse überall so realisiert werden kann. Aber es ist ganz klar, wenn die Klassengrösse bereits um einen Schüler angehoben wird, kann man drei bis vier Prozent sparen.
Die Einsparungen bedeuten einen Stellenabbau.
Ja. Aber das ist logisch und wurde auch immer so kommuniziert. Wir gehen davon aus, dass viele Stellen über die natürliche Fluktuation abgebaut werden können. Zudem haben wir im Entlastungsprogramm EP14 einen Sozialplan eingerichtet.
Wie war das Echo bei den drei Informationsanlässen?
Sehr gut. Der Regierung ist es wichtig, die interessierten Kreise einzubinden und das Projekt in verschiedene Phasen zu unterteilen, damit sich der Aufwand rechtfertigen lässt. Wir haben möglichst viele Meinungen eingeholt und werden sie nun auswerten. Die Resultate werden dann in die Machbarkeitsstudie einfliessen, die vom Kantonsrat in Auftrag gegeben wurde.