Keine Angst vor Wohlklang

22. September 2016, Marlon Rusch
Joscha Schraff, Niculin Janett, Mo Meyer und Paul Amareller (von links) harmonieren nicht nur auf der Bühne. Foto: Peter Pfister
Joscha Schraff, Niculin Janett, Mo Meyer und Paul Amareller (von links) harmonieren nicht nur auf der Bühne. Foto: Peter Pfister

Der Schaffhauser Jazzpianist Joscha Schraff hat in der Kammgarn seine zweite CD getauft. Und seine vielversprechende Karriere auf ein neues Level gehievt. Davon dürfte auch seine Heimat profitieren.

Nach den ersten paar Stücken erzählt Joscha Schraff seinem Publikum, wieso seine neue CD heisst, wie sie heisst: «Lonely Machines». Den Namen, so der Bandleader, habe sein Label vorgeschlagen. Weil er noch gut töne. Punkt. Dem habe er, Schraff, nichts hinzuzufügen. Krampfhaft konstruierte, pseudointellektuelle Herleitungen seiner Musik sind dem jungen Pianisten genauso suspekt, wie aus eben dieser Haltung einen Hehl zu machen. Was nicht bedeutet, dass der aufgeweckte Strubbelkopf aus Gächlingen nichts zu sagen hätte. Und erst recht nicht, dass er nicht gehört würde.

Der Name Joscha Schraff beginnt sich derzeit in der Schweizer Jazzszene zu etablieren. Und könnte in den kommenden Jahren auch dem Platz Schaffhausen Aufwind geben. Nicht bei den langjährigen Jazzenthusiasten, denen das Städtchen dank des fest etablierten Jazzfestivals sowieso ein Begriff ist. Es ist vor allem ein jüngeres Publikum, das der 25-Jährige mit seiner erfrischenden Art scheinbar spielend für den Jazz zu erschliessen vermag. Das geht auch aus Reaktionen derer hervor, die sich am vergangenen Donnerstag zahlreich in der Kammgarnhalle eingefunden haben. Darunter viele, die mit Jazz für gewöhnlich nicht viel am Hut haben. Dafür gibt es verschiedene Gründe.

Voraussetzung ist, dass Joscha Schraff, Niculin Janett (Sax), Mo Meyer (Bass) und Paul Amareller (Drums) allesamt technisch beschlagene, mitunter virtuose Musiker sind. Dass sie diese Virtuosität wiederum lediglich sporadisch aufblitzen lassen und damit glaubhaft den Eindruck erwecken, sie müssten hier auf der Bühne niemandem ausser sich selbst etwas beweisen, dürfte Grundlage sein für den unbekümmerten Groove, den diese Band erzeugt. Die vier Köpfe, sie scheinen völlig frei. Bereit, sich gehen zu lassen.

Kompositionen im Kochtopf
Dies, so Schraff, funktioniere nur dank blindem Vertrauen, das die Mittzwanziger ineinander haben. Die vier kennen sich lange, sind auch abseits von Proberaum, Studio und Bühne beste Freunde, kochen am Abend zusammen, wissen sich gegenseitig einzuschätzen. «Früher versuchte ich in Impro-Teilen so zu spielen, wie ich dachte, Paul würde es von mir erwarten. Das machte es ihm leichter», sagt Schraff. «Heute spiele ich oft bewusst anders, um ihn aus der Reserve zu locken.»

Die Feinheiten solcher Spielchen bleiben dem Zuhörer vielleicht verborgen, was nicht heisst, dass sie sich auf der Bühne nicht manifestieren. Neben Joscha Schraff sind auch Niculin Janett und Paul Amareller ausdrucksstarke Entertainer, ganz ohne dafür ein Mikrophon bemühen zu müssen. Bassist Mo Meyer hält den Laden derweil im Hintergrund zusammen, ist der alles andere als stille Rückhalt, der den dreien ihre Höhenflüge und kreativen Ausfälligkeiten erst ermöglicht.

Bei aller Improvisation wirkt die Musik des Quartetts aber nie verkopft, was eingänglichen Melodien zu verdanken ist, die sich als roter Faden durch Stücke wie «Metamorphosis» oder «Back Home» ziehen und vor allem von Janetts sanftem Saxophon getragen werden. Auch mal verschwinden und plötzlich wieder auftauchen können. «Auf der Bühne passiert viel verrücktes Zeug», sagt Schraff. «Aber ich glaube, man versteht es.»

Vielleicht ist das offene Geheimnis von Schraffs Sound, dass der Komponist keine Angst hat vor Wohlklang. Popmusik wolle er nicht spielen. Auf die «geilen Elemente des Pop» aber, auf sie möchte er nicht verzichten. Auch sein eigenes Spiel ist geprägt von popähnlichen Dreiklängen.

Vom Kleinen ins Grosse
Der Sohn eines Musiklehrers nennt als Mentor Thomas Silvestri. Und, klar höre er viel Keith Jarrett und Wynton Kelly, am stärksten beeinflusst worden sei er aber eigentlich, so komisch es töne, von seiner eigenen Band. Man kauft es ihm ab. Dazu passt, dass der Gächlinger nicht, wie die allermeisten Jazzer aus der musikalischen Agglo, in einem der Zentren sein Glück sucht, wo die Möglichkeiten mannigfaltig sind. Schraff wohnt nach wie vor in Schaffhausen und wüsste auch gar nicht, wieso er nach Zürich ziehen sollte. «Wenn alle andern gehen, hat es hier ganz viel Platz für mich», sagt er.

Den Platz weiss er zu nutzen. Schon früh im Studium hatte er sein eigenes Trio, spielte Konzerte. Sein Jam in der Fassbeiz lockt regelmässig namhafte Musiker aus der ganzen Schweiz in die Stadt, die es geniessen, einfach mal zu spielen, weil es Freude macht. Solche ungezwungenen musikalischen Kleinode sind selten im Land, umso mehr werden sie geschätzt, von Akteuren und Publikum gleichermas­sen.

Vielleicht muss sich auch die etablierte Szene langsam daran gewöhnen, dass die Fahrt in den Norden nicht nur während der Handvoll Jazzfestival-Tage im Mai unabdingbar ist. Der «Wednesday Jam» im Zürcher Moods etwa sei sicher hochkarätig und wichtig, doch gehe es dabei immer auch um Sehen und Gesehenwerden, um Konkurrenz. Sich verstellen, um anderen zu gefallen, sowas mag Schraff nicht sonderlich, «vielleicht, weil ich mich nie beweisen musste».

Und doch hat er sich mit seiner CD bewiesen, sagt selbst, das könnte ein kleiner Durchbruch gewesen sein. Die Kammgarn hat er gemietet, die Finanzen gingen trotzdem auf. Und: «So viele aufrichtig gute Rückmeldungen habe ich noch nie erhalten.» Mit QFTF konnte der Pianist ein aufstrebendes Label für sich gewinnen, für die Aufnahmen arbeitete das Quartett mit Radio SRF 2 zusammen. Im Mai 2017 gehen die vier mit «Lonely Machines» auf eine kleine Tournee nach England. «Dort ist die Jazzszene eher traditionell, gewisse neue Sounds kennt man noch nicht.» Vielleicht wartet in England der nächste kleine Durchbruch. Schraff sagt, sein Ansatz sei, «vom Kleinen ins Gros­se» zu gehen. Angst braucht man davor keine zu haben. Das Kleine wird der im besten Sinne bodenständige Schraff dadurch kaum vergessen.