Zehn Tage vor der Kantonsratswahl: Die Parteichefs der beiden grössten Parteien SVP (Pentti Aellig, links) und SP (Werner Bächtold) im Streitgespräch über Kompromisslosigkeit, die Mitteparteien und «Landeier».
az Pentti Aellig, was halten Sie vom SP-Slogan «Bildung für alle»?
Pentti Aellig «Bildung für alle» kann ich unterschreiben. Wir befürworten sogar Tagestrukturen an Schulen. Wir sind aber skeptisch, wenn es darum geht, Gemeinden dazu zu zwingen, Tagestrukturen einzuführen.
Werner Bächtold, wenn sogar die SVP für «Bildung für alle» ist, was taugt dieser Slogan?
Werner Bächtold So, wie ich die Schaffhauser Politik in den letzten vier Jahren erlebt habe – Stichwort Entlastungsprogramm –, bin ich nicht restlos überzeugt, dass die SVP wirklich «Bildung für alle» will. Mindestens der Teil der SVP, der im Kantonsrat sitzt, war beispielsweise für Sparmassnahmen beim Berufsvorbereitungsjahr, beim Lindenforum und bei den Kantifreifächern. Und wenn Tagesstrukturen freiwillig bleiben, warten wir bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, bis sie alle haben.
Aellig Wir haben in Dörflingen eine Umfrage gemacht und festgestellt, dass das Bedürfnis nach Tagestrukturen da ist. Wir sind bereits in der Vorbereitungsphase. Ich wehre mich einfach dagegen, dass kleine Gemeinden, die das nicht wollen, dazu gezwungen werden, 46 Wochen pro Jahr einen solchen Betrieb aufrechtzuerhalten. Und unsere Kantonsräte sind für Bildung, aber gegen Bildungsbürokratie.
Pentti Aellig, nun wird der Kanton seit vielen Jahren von einer Mehrheit aus FDP und SVP regiert. Wenn es diese Bildungsbürokratie gäbe, hätte ja diese Regierung sie produziert.
Aellig Das hat damit zu tun, dass die Vertreter der Mitteparteien in der Regierung oft nach links tendieren, und dann sind unsere Regierungsräte wieder allein. Man weiss ja nicht, wer wie abstimmt. Insgesamt macht die Regierung sicher eine sehr mitteorientierte Politik. Wir stellen fest, dass viele Lehrer – gerade auf Primarstufe – mit uns Kontakt aufnehmen. Sie leiden unter den Reformen, den Umfragen und den Büroarbeiten, die sie erledigen müssen. Da habe ich manchmal fast Mitleid. Und auch die Schulleiter sorgen in einigen Gemeinden für Unruhe. Mit einer Bildungspolitik, die weniger Bürokratie bewirkt, wäre ein kleines Sparpotenzial vorhanden. Aber schlussendlich sind wir uns einig, dass man in der Bildung – wenn überhaupt – wenig sparen soll.
Bächtold Ich behaupte, wenn sich Lehrer über zu viele Reformen beklagen, dann beklagen sie sich über etwas, das es gar nicht gibt. Bildungsreformen in der Primarschule, die der Kanton Schaffhausen angestossen hat, gibt es schon länger nicht mehr.
Aellig Aber der prozentuale Anteil der Büroarbeiten, die heute ein Teamleiter machen muss, hat stark zugenommen.
Bächtold Und warum?
Aellig Wegen der Reformen. Das Erziehungsdepartement (ED) hat fast 100 Mitarbeiter, die brauchen ja auch Arbeit. Was machen die denn?
Bächtold Das ist eine Unterstellung. Der Hauptgrund ist doch, dass viele Statistiken erhoben werden, um dem Steuerzahler und der Öffentlichkeit zu zeigen, wofür das Geld ausgegeben wird. Diesen Anspruch darf man auch haben.
Aellig Nach Stellenplan sind es 98 Leute im ED. Das ist eine Tatsache.
Bächtold Ja, aber dazu gehören der schulpsychologische Dienst und die Berufsberatung. Das sind keine Bürokraten, sondern Leute, die an der Front die Arbeit der Lehrer unterstützen. Bis nicht analysiert wurde, was die Leute im ED machen, ist diese «Bildungsbürokratie» einfach eine Behauptung.
Werner Bächtold, im Juli gewann die SP den Kampf gegen das Sparpaket dank der Unterstützung durch das Stimmvolk. Warum ist es nicht gelungen, diese Leute dazu zu bringen, zwei Linke in den Regierungsrat zu wählen? Stattdessen wurden die drei Bisherigen glänzend im Amt bestätigt.
Bächtold Ich weiss es nicht. Es ist sicher so, dass wir zunehmend vom Land dominiert werden. Jetzt haben Neuhausen und die Stadt keinen Sitz mehr in der Kantonsregierung, obwohl sie über die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Das ist ein Phänomen, das sich auch im Kanton Zürich zeigt. Dort sitzt auch niemand mehr aus der Stadt Zürich im Regierungsrat. Dass wir uns auf dem Land schwertun, merken auch unsere Sektionen. Die sind teilweise klinisch tot. Aber so ist der Zeitgeist. Das Stimmvolk hat fünf «Landeier» gewählt.
Aellig Ich würde Walter Vogelsanger jetzt nicht als «Landei» bezeichnen, nur weil er aus Beggingen kommt.
Bächtold Er ist aber eins.
Pentti Aellig, Rosmarie Widmer Gysel hat fast 2000 Stimmen mehr geholt als noch 2012, obwohl sie das Gesicht des Sparpakets war. Und in diesem Paket hatte es Massnahmen, die auch vielen SVP-Wählern nicht gefallen haben.
Aellig Rosmarie Widmer Gysel hatte eine undankbare Aufgabe. Sie wurde von Mitte-links und von unseren eigenen Leuten für einzelne Sparmassnahmen angegriffen. Aber ich glaube, die Schaffhauserinnen und Schaffhauser haben ihre Bemühungen, Sparmassnahmen zu suchen, honoriert. Denn sie wollen den Schuldenberg nicht vergrössern.
SVP und SP haben absolut gesehen bei den Regierungsratswahlen an Stimmen gewonnen. Was heisst das für die Kantonsratswahlen? Werden beide zulegen? Und was geschieht mit der politischen Mitte?
Bächtold Ich glaube, wir werden den einen oder anderen Sitz gewinnen. Die politische Mitte ist hingegen kaum mehr wahrnehmbar, und diese Entwicklung finde ich nicht gesund. In der Stadt gibt es ja eine lebendige Mitte, die auch Abstimmungen entscheidet. Das gibt es im Kanton nicht. Ich vermute, dass der Freisinn Stimmen verlieren wird. Aber wenn man keine eigenständige Politik macht, dann muss man sich auch nicht wundern, wenn es bergab geht. Aus dem einst stolzen Freisinn ist nur noch ein marginaler Rest übrig geblieben.
Aellig Das sehe ich anders. Ich glaube nicht, dass es mit dem Freisinn bergab geht. Das haben die Regierungsratswahlen gezeigt. Es war nicht zu erwarten, dass die FDP beide Sitze behält. Ich denke, sie wird eher zulegen. Aber wenn sich die Mitte nicht klar positioniert, hat sie es schwer, in den Medien Gehör zu finden. Die CVP macht vor allem Schlagzeilen mit Darbellay und seinem vierten Kind. Wir sitzen auch hier am Tisch, weil wir die Polpositionen vertreten. Die FDP wird im Kantonsrat wohl auch weiterhin das Zünglein an der Waage spielen.
Die FDP als Zünglein an der Waage? Die Freisinnigen stimmen doch häufig mit der SVP.
Aellig Wie die Debatte über die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative gezeigt hat, ist das eben nicht so.
Das ist ein nationales Thema. Aber im Schaffhauser Kantonsrat?
Aellig Wenn es um Steuerfragen geht, machen FDP und SVP sicher gemeinsame Sache. Aber beispielsweise in der Energiepolitik stimmt der Freisinn eher mit Mitte-Links.
Bächtold Das erlebe ich im Kantonsrat leider nicht so. In den letzten vier Jahren hat die FDP in allen wesentlichen Fragen immer mit der SVP gestimmt. Die FDP hat meiner Meinung nach kein Merkmal mehr, das sie von der SVP abhebt.
In den letzten vier Jahren hat eine Blockadepolitik den Kanton geprägt, wie es sie mindestens seit den 80er-Jahren nicht gegeben hat. Wenn eine der grossen Parteien SP und SVP in die Opposition geht, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass eine Vorlage vom Stimmvolk bachab geschickt wird. Was ziehen Sie daraus für Erkenntnisse?
Bächtold Das ist eine Gefahr für unsere Demokratie. Aus meiner Sicht musste das Stimmvolk über zu viele Vorlagen entscheiden, und zu viele sind gescheitert. Aber wir waren dazu gezwungen, Volksabstimmungen zu provozieren. Die Mehrheit aus FDP und SVP hat Kompromisse, die in den Kommissionen manchmal noch gefunden wurden, danach im Kantonsrat meistens zerzaust.
Aellig Als Parteipräsident bist du doch wesentlich beteiligt, dass Kompromisse gefunden werden können. Die Schuld, dass sich die Fronten verhärtet haben und die Kompromissfähigkeit gelitten hat, liegt nicht nur bei den SVP-Parlamentariern, sondern bei allen Kantonsräten.
Bächtold Nein, Pentti, leider nicht. Es liegt zwar nicht nur an der SVP, sondern auch an einigen Freisinnigen, die einfach alles ablehnen. Man diskutiert nicht einmal mehr. Budgets werden einfach so durchgewinkt.
Aellig Wir haben natürlich eine Verpflichtung gegenüber unseren Wählerinnen und Wählern, und die wollen SVP-Politik. In Sachen Finanzpolitik heisst das: keine weiteren Schulden machen.
Werner Bächtold, sehen Sie sich denn als linken Hardliner oder als einen, der Kompromisse finden kann?
Bächtold Ich halte mich für jemanden, der mehrheitsfähige Lösungen sucht. Ich habe damit in letzter Zeit einfach wenig Erfolg. Das ist frustrierend. Vielleicht bin ich zu alt. Früher gab es wunderbare Debatten mit konservativen Freisinnigen, da hat es richtig «getätscht». Aber dann hat man in der Pause eine gemeinsame Lösung gesucht, durchgebracht, und danach ging man zusammen ein Bier trinken. Heute kommt es leider nicht mehr vor, dass sich Partei- oder Fraktionspräsidenten treffen.
Die Exekutivwahlen zeigten auch, dass der Stadt-Land-Graben im Kanton Schaffhausen zugenommen hat. Die SVP eroberte Gemeindepräsidien auf dem Land, in der Stadt rutschte der Stadtrat in die Mitte.
Bächtold Wenn die Stadt progressiver wird und das Land konservativer, ist das keine gute Entwicklung. Aber offensichtlich hat die SVP auf dem Land gute Leute, die mehrheitsfähig sind.
Aellig Ich glaube, konservative Politik spricht generell mehr Leute an. Das sind Themen wie die Masseneinwanderung, der Kampf gegen die EU und fremde Richter. Auch wenn es kantonale Wahlen sind, geht es eben nicht nur um kantonale Themen. Die Leute wählen uns auch wegen unserer DNA. Die Zwangsfusionen waren so ein Thema. Wir sind gegen Diktate von oben und wollen frei bleiben.
Bächtold Das Wort Freiheit steht in unserem Parteiprogramm schon länger, als es die SVP gibt.
Aellig EU-Beitritt steht dort drin.
Bächtold Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind die drei Grundpfeiler unserer Politik.
Aellig Unter dem Diktat von Juncker.
Bächtold Jetzt wirst du aber polemisch. Ich habe gedacht, das lassen wir sein. Ausserdem haben die Stadtratswahlen gezeigt: Die Mehrheit in der Stadt findet die Politik, welche die SVP vertritt, nicht so sexy. Darum machte SVP-Kandidat Daniel Preisig auch ein schlechteres Ergebnis als GLP-Kandidatin Katrin Bernath, die neu antrat.
Aellig Bei allem Respekt, Werner Bächtold, bei eurer Politik steht nicht die Freiheit im Zentrum, sondern die Umverteilung.
Bächtold Ich nenne diese Umverteilung Gerechtigkeit.
Sprechen wir noch über den Frauenanteil: Der ist bei beiden Parteien nicht besonders hoch.
Aellig Das ist so, und das bedauern wir. Wir haben viele Frauen angefragt, ob sie kandidieren möchten. Aber viele Frauen wollen einfach nicht in die Räte.
Auch bei der SP hat es deutlich mehr Männer als Frauen.
Bächtold Wir haben aber mehr Frauen auf den Listen als die SVP.
Aellig Jetzt wirst aber du polemisch.
Bächtold Das ist nicht polemisch. Wir haben ein klares Ziel, wir wollen 50 Prozent Frauen auf jeder Liste. Dass wir das vor allem in der Stadt nicht erreicht haben, ist sehr bedauerlich.