«CPure» besteht aus echten Cannabisblüten. Es darf seit zwei Wochen als «Tabakersatzprodukt» legal verkauft werden, weil es fast kein THC enthält. Die «az» hat es getestet.
In den Redaktionsbüros der Schweiz, auch bei der «az», war die Verblüffung am vergangenen Donnerstag gross: Da schickt uns jemand einfach so einen kleinen Beutel Cannabis. Dazu eine Einladung zum Verkaufsstart von «CPure», dem ersten vom Bundesamt für Gesundheit geprüften und zum Verkauf zugelassenen «Tabakersatzprodukt» aus Cannabisblüten. Legales Kiffen? Echt?
41 Jahre, nachdem auch der Konsum von Cannabis in der Schweiz verboten wurde, 20 Jahre nach dem Boom von illegalen Hanfläden und acht Jahre nach dem Scheitern der Legalisierung an der Urne bröckelt der Rückhalt der repressiven Marihuana-Politik. Erwischte Kiffer bekommen nur noch eine Busse, und mehrere Städte wollen den Konsum in Social Clubs erlauben oder im Rahmen eines Forschungsprojekts Cannabis abgeben. Bundesrat Alain Berset findet die Idee gut und gibt zu, auch schon einmal an einem Joint gezogen zu haben. Der Verein «Legalize it» startet eine neue Initiative. Man schnuppert es überall: Es weht ein neuer Wind in der Cannabis-Politik der Schweiz.
Entspannend statt anregend
Doch zurück zum kleinen Säcklein im Briefkasten der «az». Es kommt von der Bio Can AG mit Sitz in Schleitheim. Gewachsen ist der Hanf aber in Ossingen. Zwischen etwas in die Jahre gekommenen Gewächshäusern erklären Geschäftsführer Dario Tobler und Verwaltungsrat Markus Walther ihr Produkt: Es enthält weniger als ein Prozent THC und fällt deshalb nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Dafür ist der Anteil an Cannabidiol (CBD) höher, das beispielswiese von Krebs- und MS-Patienten für seine entzündungshemmende und entkrampfende Wirkung geschätzt wird. Während THC anregt, wirkt CBD entspannend.
Dario Tobler macht allerdings überhaupt keinen entspannten Eindruck, sodass man ihm den vermehrten Konsum seines eigenen Produkts empfehlen möchte. Die letzten Tage waren hektisch, der erste legale Grasdealer der Schweiz ist gestresst, aber euphorisch. «Der Verkaufsstart war super, wir haben an den ersten zwei Tagen 400 Säcklein à zehn Gramm verkauft», freut er sich, und das Echo sei grossartig. Das legale Cannabis hat einigen Medienrummel verursacht und es auf mehrere Titelseiten geschafft. Vermutlich nicht nur im Büro des «Blick» machte zu Versuchszwecken ein Joint die Runde.
Nach Jahren des Tüftelns – Selektionieren, Klonen, Kreuzen und weiter Selektionieren – haben es Tobler und Walther geschafft, dass ihr Cannabis zuverlässig einen THC-Wert von deutlich weniger als einem Prozent aufweist. Für die Genehmigung zum Verkauf reichte das allerdings nicht. Zwei weitere Jahre waren für eine ganze Reihe von Tests und Analysen notwendig, die das Bundesamt für Gesundheit der Tabakbranche vorschreibt. Und kurz vor dem Ziel hätten beinahe die Polizei und die Staatsanwaltschaft alles zunichte gemacht.
Razzia im Gewächshaus
Im Juni 2015 stürmten etwa 30 Polizisten das Gelände, brachten Siegel an den Gewächshäusern an und durchsuchten alle Mitarbeiter. «Der Staatsanwalt war auch dabei und wollte alle Pflanzen abschneiden lassen», erinnert sich Tobler. Walther wehrte sich vehement und drohte mit einer Schadenersatzklage. Der Staatsanwalt war sich sicher: So sieht legaler Hanf nicht aus, und wettete mit Walther und Tobler um ein Nachtessen. Ein Polizist setzte eine Kiste Bier.
Glücklicherweise, sagt Tobler, sei die Zürcher Stadtpolizei am Einsatz beteiligt gewesen, die etwas mehr Gelassenheit und Erfahrung im Umgang mit Cannabis habe. Ihr – und dem Widerstand Walthers – sei es zu verdanken, dass die Pflanzen nicht abgeschnitten wurden. Walther durfte noch die Bewässerungsanlage laufen lassen, bevor er abgeführt und für eine Nacht in Untersuchungshaft gesteckt wurde.
Die Analysen des beschlagnahmten Materials entlasteten die beiden Grastüftler: alles unter einem Prozent THC. «Auf das Nachtessen und die Kiste Bier warten wir allerdings bis heute», sagt Tobler lachend.
Am Freitag, 5. August, gab das Bundesamt für Gesundheit (BAG) grünes Licht für den Verkauf des Tabakersatzprodukts «CPure», gewonnen aus Cannabisblüten der Sorte Fedora aus Ossingen. Dario Tobler und Markus Walther waren völlig überrumpelt. «Wir hätten nicht geglaubt, dass das BAG abschliessend entscheidet, sondern wir haben damit gerechnet, dass sich ein Gericht mit ‹CPure› befassen muss.» Die Überraschung wich der Feierlaune und dann dem Arbeitseifer. Verpackungen wollten ordungsgemäss bedruckt, Verkaufsstellen akquiriert, Medienleute an den Verkaufstart eingeladen werden. Der «Blick» war am schnellsten und berichtete noch vor der Pressekonferenz – und das, obwohl er das Produkt bereits getestet hatte.
Bereits laufen die Bestrebungen, eine weitere Sorte vom BAG prüfen zu lassen – sie soll ein noch besseres Aroma aufweisen als diejenige, die seit letztem Freitag im Handel ist.
Das muss ausprobiert sein
Die «az» wagt den Selbstversuch. Weil sie von Rauschgift selbstverständlich nicht die Blüte versteht, lädt sie zur Verkostung der von Bio Can grosszügig zur Verfügung gestellten Müsterchen einen Bekannten ein, der regelmässig richtiges, genauer gesagt illegales Marihuana raucht. Wir drehen einige Joints aus «CPure» und dem noch nicht zum Verkauf zugelassenen Produkt. Zuerst «CPure», das bereits im Handel ist: «Sehr, sehr mild», urteilt der Testraucher, «schmeckt nicht anders als ein outdoor gezogenes Gras mit THC.» Dann nach einer Weile: «Der Unterschied ist, dass der Flash nicht einsetzt.» Könnte der regelmässige Kiffer seinen illegalen Konsum mit dem neuen, legalen Cannabis ersetzen? «Ich könnte mir schon vorstellen, zumindest teilweise auf Gras zu wechseln, das so schwach ist, dass es legal ist», sagt er, «aber nicht auf dieses. Ich mag Outdoor nicht besonders.»
Kein Problem: Von der noch nicht erhältlichen Sorte hat die Bio Can AG auch ein Müsterchen aus Blüten zur Verfügung gestellt, die indoor, also unter Kunstlicht, aufgezogen wurden. Es riecht viel intensiver und sieht auch potenter aus, enthält aber ebenfalls fast kein THC. Zündung, Glut, Inhalation, Verkostung, Zufriedenheit: «Das schmeckt wie richtig gutes Ganja, hat einen starken Geschmack», befindet der Proband. «Zumindest hin und wieder» könnte er sich vorstellen, seinen Feierabendjoint daraus zu drehen. «Aber wenn du die Wirkung des THC willst, dann kommt’s halt schon nicht hin.»
Was die Wirkung angeht, bemerken wir eine leichte Gelassenheit, und nach dem vierten Joint sind wir uns sicher, dass diese nicht vom Ritual, welches das Kiffen mit sich bringt, stammt. Das THC-arme Cannabis macht uns entspannt, aber nicht müde. «Bekifft» im eigentlichen Sinne sind wir auf jeden Fall nicht, die gemeinhin mit THC in Verbindung gebrachten Wirkungen wie Redseligkeit, Stimmungssteigerung oder veränderte Wahrnehmung bleiben aus. Und doch, oder vielleicht gerade deswegen: Die Wirkung ist durchwegs angenehm.
Und die Polizei?
Weniger angenehm dürfte der Umgang mit dem neuen, legalen Cannabis für die Polizei sein, denn «CPure» sieht aus und riecht wie illegales Marihuana. «Für den Polizisten auf der Strasse ist der THC-Gehalt eines Joints nicht erkennbar», sagt Cindy Beer, Mediensprecherin der Schaffhauser Polizei. Wer beim Konsum erwischt werde, könne «wie bis anhin im Ordnungsbussenverfahren auf der Stelle 100 Franken bezahlen, unabhängig vom tatsächlichen THC-Gehalt». Wer damit nicht einverstanden ist, kann das Ordnungsbussenverfahren ablehnen. In diesem Fall erfolgt eine Rapportierung an die Staatsanwaltschaft, und die beschlagnahmte Ware wird analysiert. «Liegt der THC-Gehalt unter einem Prozent, hat sich die Person nicht strafbar gemacht. Ob es in diesem Fall zu einer Kostenauflage kommt, muss noch entschieden werden», sagt Cindy Beer. Dies sei der Stand heute, die Polizei werde sehen, wie sich die Sache entwickle.
Ist es dank «CPure» also möglich, schwaches Cannabis völlig legal zu rauchen? Durchaus. Ganz sorgenfrei in der Öffentlichkeit konsumieren kann man es vorerst allerdings nicht, weil die Polizei zu Kontrollen gezwungen ist und Kosten für die Analyse anfallen können, die deutlich höher sind als die Ordnungsbusse. Bis sich eine bessere Praxis im Umgang mit Produkten wie «CPure» etabliert hat, sollte also auch der legale Joint im Verborgenen geraucht werden.