«Moll, der Kübel ist schon wichtig»

2. Juni 2016, Kevin Brühlmann
«Gut, den Morgen gibt's noch frei.» Schweizer Meister David Graubner.

Chronik der Meisterschaftseier 2016: Kadetten-Kapitän David Graubner und Präsident Behr auf der Spur.

Man müsste ein neues Wort für ihn kreieren, «kontrollakonisch» vielleicht. Aber das klingt zu kompliziert. Jedenfalls: David Graubner (32), Rückraumspieler und Kapitän der Kadetten, bringt nichts aus der Ruhe; gleichzeitig ist ihm eine unernste Selbstwahrnehmung eigen, als kreise er in einem Orbit dauernd um sein eigenes Ich.
Letzte Woche wurden die Kadetten zum neunten Mal Schweizer Handballmeister. Mit 30:28 arbeiteten sie Wacker Thun im fünften und letzten Finalspiel nieder. Die Fans tobten; in der Arena mass man weit über 100 Dezibel. Und was tat der Mannschaftskapitän? Dasselbe, was er immer tut: Er blieb kontrollakonisch.

 

az (In die Kabine) Ist David Graubner hier?
David Graubner (kommt nach einigen Sekunden) Sorry, musste mir noch ein Bier holen.

Zum Wohl! Nervt es Sie …
Sag mir doch du. Ich fühle mich, gerade nach Spielen, schon alt genug.

Gut, nervt es dich, jetzt noch ein Interview geben zu müssen?
Ach, das gehört halt dazu.

Weisst du eigentlich, wie oft du schon Schweizer Handballmeister geworden bist?
(überlegt) Sechsmal?

Falsch, es ist sogar dein siebter Titel.
Wirklich? Es kommt nicht darauf an, ob es nun sechs oder sieben sind. Aber es ist schön, es wieder geschafft zu haben.

Das Ganze ist demnach nicht besonders wichtig für dich?
So dumm es tönt, und so abgedroschen die Floskel auch ist: Im Sport zählt nicht, wie viel man schon erreicht hat, sondern nur, was noch kommt. Wenn ich sechs Finale gewonnen habe, das siebte aber verliere, dann sind die vorherigen Siege in diesem Moment wertlos. Vielleicht ist es in zehn Jahren schön, wenn ich auf sieben Schweizer-Meister-Titel zurückblicken kann.

Ist der Sieg überhaupt noch speziell?
Es ist schon eine andere Freude als noch beim ersten. Damals hätte ich die ganze Welt umarmen können. Jetzt spüre ich eher eine tiefe Freude, nein, eine grosse Zufriedenheit.

Wo bewahrst du deine Medaillen auf?
Ich habe einen ganzen Haufen verschenkt, verloren … Ein paar liegen vermutlich in einer Kiste mit der Aufschrift «Handball» irgendwo in einer Kammer. Einen Ehrenplatz oder so haben sie nicht.

Du scheinst ja überhaupt nichts von Trophäen zu halten. Letztes Jahr wurde euch sogar der Pokal geklaut.
Moll, der Kübel ist schon wichtig. Ich hoffe, ich muss dieses Jahr nicht wieder einen Nachmittag für einen Marketing-Gag des «Lappi»-Magazins verschwenden.

Asche auf mein Haupt.
Du warst da beteiligt? Und jetzt schon wieder hier? Oje! Im Ernst, es war ein lustiger Gag, aber ich habe morgen Besseres zu tun.

Du bist Geschäftsführer der Kadetten und der Arena. Musst du ins Büro?
Ja, wahrscheinlich schon.

Tatsächlich?
Gut, den Morgen gibt’s noch frei.

 

«Also gut. Ich bin der Giorgio, okay?»

 

Mitten auf dem Spielfeld, alleine im Anspielkreis, da steht ein glückseliger Giorgio Behr. Der Präsident der Kadetten schaut umher, sinnierend vermutlich.

 

Giorgio Behr, nur eine Frage.
Giorgio Behr (mustert den Presseausweis) Klar. Von der «az», richtig?

Richtig. Zur Frage: Darf David Graubner morgen blaumachen?
Das entscheidet er. Wir sind eine moderne Firma.

Er meinte, er komme wohl erst später.
Das soll er. Bei uns hat jeder seine Aufgaben, die er zu erledigen hat. Einteilen kann man sich das selber. Ausserdem bin ich morgen eh ausser Haus.

Glück gehabt.
Jaja. Aber Sie müssen zugeben: Das Spiel vorher, das war doch richtiger Sport. Das ist eben Handball, hart, aber fair, und reklamiert wird fast nie.

Beeindruckende Stimmung, ja. Morgen habe ich bestimmt Tinnitus.
Ach, kommen Sie. Das ist doch super für Schaffhausen, das Ganze hier, finden Sie nicht? Das Spiel war ausverkauft, 3’150 Zuschauer! Wir hätten sogar noch mehr Tickets verkaufen können.

Ehrlich gesagt: Das war meine Kadetten-Premiere. Ich bin sonst eher der Fussballtyp.
(lacht) Das sind doch alle Linken!

Das ist aber eine staubige Schublade, Herr Behr, ich bitte Sie.
Also gut (lacht). Ich bin der Giorgio, okay … Philippe?

Kevin, freut mich.
Entschuldigung! Ich habe so viele Leute gesehen heute. Der Philippe ist doch der Gemeindepräsident von Thayngen. Aber du musst zugeben: Das ist schon eine andere Liga hier als beim Fussball …

 

Drei Kadetten, darunter David Graubner, tauchen plötzlich hinter Giorgio Behr auf; Gesichter wie von kleinen Buben, die einen kolossalen Streich planen. Sie packen ihn an Händen und Füs­sen und heben ihn auf ihre Schultern.
«Macht ihn mir nicht kaputt!», ruft jemand von irgendwo her. Aber zu spät. Waage­recht durch die Luft gondelnd, wird der Präsident in Richtung Kabine verschleppt. Behr verschüttet sein Bier. Er lacht.

***

Gleicher Ort, vier Tage später. Das Stadion schweigt verlassen vor sich hin; von Champagnerfontänen und Bierduschen ist nichts mehr zu erkennen.
Ein etwas müder David Graubner empfängt uns. Der Playoff-Bart ist abrasiert, Hemd und Sakko ersetzen das Trikot mit der Nummer 8. In einem nüchternen Seminarraum, das Blaue Kreuz ist nichts dagegen, blickt er zurück auf die Finalissima – und auf sein bisheriges Handballerleben. Und er tut das, wie er das immer tut: kontrollakonisch. Dazu passt, dass man seinen Vertrag schon letzten Herbst um zwei Jahre verlängert hat. Die Öffentlichkeit wurde nicht informiert, bis heute nicht, warum auch, gibt schliesslich Wichtigeres.

 

David Graubner, wieder gut erholt?
David Graubner Geht so. Am Donnerstag wurde es gar nicht so wild; es war eher ein gemütliches Beisammensein. Das ist auch mal schön, es muss nicht immer Rambazamba sein. Am Samstag war es viel gelöster, es verabschiedeten sich ja einige vom Team, da ging es auch emotionaler zu und her.

Hast du es am Freitag ins Büro geschafft?
Nein, ich habe von zuhause aus gearbeitet. Nicht «de Huufe», einfach das, was zu erledigen war.

Der Playoff-Bart ist weg, die Müdigkeit bleibt noch etwas.

Lassen wir das Finale nochmals Revue passieren. Deine Rolle war speziell: Du warst praktisch nur in der Defensive. Sobald es nach vorne ging, musstest du raus.
Grundsätzlich bin ich schon ein Abwehrspieler. Aber stimmt, früher habe ich mehr Tore geschossen. In gewissen Saisons war ich in der Torschützenliste sogar ganz vorne dabei. Meine defensive Rolle hat sich letzte Saison so ergeben, als ich Knieprobleme hatte und gar nicht mehr in den Angriff gehen konnte. Doch das muss nicht so bleiben, meinen Knien geht es wieder gut.

Stört dich diese Rolle?
Nein. Logisch, es werden meist die Spieler ausgezeichnet, die viele Tore schiessen. Ich habe es jedoch nicht nötig, dass mir die Medien jede Woche auf die Schultern klopfen und mich speziell hervorheben.

Während des Spiels warst du quasi der Trainer auf dem Feld. Du hast beinahe mehr geredet, als du gerannt bist.
Das ist so, auch wenn das jetzt etwas frech klingt. Im Handball kann man die gegnerische Abwehr nicht zu Tode laufen, die taktischen Anforderungen sind hoch: Wer muss wohin, was könnte passieren? Diese Aufgabe muss ein erfahrener Spieler übernehmen, der auch einen gewissen Stellenwert im Team hat. Und diese Anforderungen erfülle ich.

Du bist seit zwölf Jahren Profi. Da hat sich bestimmt vieles verändert.
Ja, einiges. Der Stellenwert des Handballs in Schaffhausen ist noch etwas gesunken. Man merkt eine gewisse Sättigung. Beim ersten Titel war die ganze Stadt «us em Hüüsli». Jetzt ist er vielleicht noch eine Randnotiz wert. In der Halle selbst war zwar Rambazamba, aber in der Stadt herrschte tote Hose.

Und sonst?
Handballspiele sind heute eventmässiger. Man will nicht mehr einfach auf dem Holzbänkli sitzen, eine Bratwurst essen und das Match schauen, sondern VIP-Zeugs: Lounges, Cüpli und und und. Jeder muss spezieller sein als der andere.
Auf der anderen Seite werden auch heute noch Glasflaschen im Stadion verkauft, und es gibt nie Probleme damit. Das finde ich schön – genauso übrigens, dass man sich während des Spiels «dermasse uf d Mütze git», einander dennoch beim Aufstehen hilft. Leider geht die Wahrnehmung des Handballs als unkomplizierter Schülersport zunehmend verloren.

Was hat sich für dich selbst verändert?
Sehr vieles. Als ich 2006 zu den Kadetten kam, hatten wir nur einen Abendschulmasseur, der, böse gesagt, jede Verletzung mit einem Pflaster behandelte. Mittlerweile haben wir medizinische Partner. Und Unfallversicherungen, Zusätze, dass es «chlöpft und tätscht»; jeder hat eine
eigene Invalidenversicherung. Aber auch punkto Ernährung hat sich einiges getan.

Vor zehn, fünfzehn Jahren, da hat man manchmal noch NLA-Spieler mit kleinen Wampen gesehen …
Da ist der Handball dankbar. Jeder Körper kann hier seine Position finden. Ein Kreisläufer sieht auch heute noch nicht übermässig austrainiert aus. Wobei: unsere schon (lacht). Insgesamt wird der Sport allerdings schon immer athletischer.

 

«Jeder muss eine politische Meinung haben»

Du hast Wirtschaft an der Universität St. Gallen (HSG) studiert. Ging das gut neben dem Leben als Profi?
Mit einigen Jahren Distanz: ja. Doch es war schon hart, besonders in Prüfungsphasen. Ich bin allerdings froh, die Ausbildung abgeschlossen zu haben. Ich könnte abends nicht einschlafen, wenn ich nicht wüsste, dass ich – ausser Handball spielen – noch etwas anderes machen kann.

Man sagt, an der HSG gehe es nur ums Geld, um Profit.
Natürlich studieren viele dort, für die Geld das A und O ist. Dass diese Philosophie von der Uni vermittelt wird, kann man aber nicht sagen. Die Vorstellung ist auch ein Klischee. Mein persönliches Streben nach Glück sehe ich sowieso nicht abhängig vom Geld.

Ich will nicht allzu politisch werden, aber es lässt sich nicht schönreden, wenn man Tausende Angestellte entlässt, nur um den Aktionären einen höheren Benefiz zu verschaffen. Natürlich muss ein KMU rentabel sein. Die Frage ist nur: zu welchem Preis?

Du willst nicht «allzu politisch werden». Dürfen das Sportler nicht sein?
Doch, jeder muss eine politische Meinung haben. Um öffentlich seine Ansichten zu äussern, ist ein Sportler aber die falsche Figur. Wir Handballer können und sollen ein Vorbild sein, was Fleiss anbelangt, und, im besten Fall, wie man zusammen als Team stark ist. Um zu entscheiden, welche Politik gut ist, dafür gibt es sicher kompetentere Leute als einen Spitzensportler. Das entspräche auch nicht meiner Art.

Weshalb nicht?
Man missbraucht die Plattform des Sports für gewisse Interessen.

Du wurdest auch «missbraucht». Nach dem Finale liessen sich Regierungsrat Reto Dubach und Stadtpräsident Peter Neukomm mit dir ablichten.
Das hat mich nicht gestört, weil ich damit keine politische Botschaft übermittelt habe. Ich sage ja nicht: «Wow, wählt diese Herren!» Und klar, man muss auch realistisch sein: Ein bestimmtes Mass an Politik gehört halt zum Sport, gerade im lokalen Bereich. Ohne Stadt und Kanton wäre es uns ja nicht möglich, unsere Halle so zu nutzen, wie das jetzt der Fall ist. Darum war das Foto durchaus legitim.