Kevin, sagen die Patriotischen Europäer gegen die Kevinisierung des Abendlandes (Pegkeda), sei kein Name, sondern eine Diagnose: für Drogenkinder, Ossis und Hartz-IV-Empfänger. Die Replik eines Betroffenen.
«Dein Name passt nicht zu dir», runzelt eine Bekannte die Stirn, so dass sich Haaransatz und Augenbrauen beinahe berühren.
«Weil ich selten alleine zu Haus bin?», frage ich zurück. Nicht gerade originell, aber eine Variante meiner Standardantwort, wenn ich auf meinen Namen angesprochen werde, quasi nuschelnder Telefonbeantworter.
«Weil du studierst. Weil du gross bist und dunkle Haare hast. Und übergewichtig bist du auch nicht.»
«Soso.» Ihre Analyse erinnert stark an diejenige des bayrischen Komikers Michael Mittermeier, der einmal sagte: «Nur Drogenkinder und Ossis heissen Kevin.»
Die Bekannte lacht entschuldigend. Nach einer kleinen Weile sagt sie: «So habe ich das nicht gemeint.»
«Ich auch nicht.»
Diagnose: Loser
Die meisten meinen es nicht so, zumindest offiziell. Aber im Verborgenen, im feuchten Keller des Unterbewusstseins, da lauert oft ein kleiner Namen-Nazi, der nur so mit dreckigen Klischees um sich wirft. Zum Beispiel der Lieblingssatz, dass Kevin kein Name, sondern eine Diagnose sei, und zwar für «Asis», Hartz-IV-Empfänger, Dumme und Verhaltensauffällige, kurzum: für jegliche Loser in unserer Gesellschaft.
Kevinismus nennt man dieses Phänomen, «die krankhafte Unfähigkeit, menschlichem Nachwuchs menschliche Namen zu geben». So zumindest wird dies auf Uncyclopedia definiert, dem satirischen Pendant zu Wikipedia. Dazu passt, dass die Wortkreation «Alpha-Kevin», sprich: der Dümmste der Dummen, dieses Jahr beinahe zum Jugendunwort des Jahres gewählt worden wäre. Klar ist: Die Kevin-Hetze ist längst salonfähig geworden.
Fast täglich liest man entsprechende Schlagzeilen: «Kevins sind Sozialschmarotzer!», «Kevins nehmen uns unsere Arbeitsplätze weg!», und: «Schluss mit der Aufnahme von Wirtschaftskevins! Nur an Leib und Leben bedrohte Kevins sollen Asyl erhalten!»
Die Szenarien sehen düster aus. Und es dauert wohl nicht mehr lange, bis sich die «Patriotischen Europäer gegen die Kevinisierung des Abendlandes» (Pegkeda) auf den Strassen zusammenrotten, bewaffnet mit klaustrophobischer Wut, und ein Klima der chronischen Kevinphobie beschwören.
Aufstieg: wehende Haare
Wie kam es überhaupt dazu, dass Kevin plötzlich nicht mehr als Rufname, sondern als sozialer Markierstift missbraucht wird? Ein kurzer Blick zurück soll uns Antworten liefern. In der Schweiz, wo das Bundesamt für Statistik seit 1902 eine Namensstatistik führt, taucht der Name Kevin erstmals in den 1930er-Jahren auf; er ist die anglisierte Form des altirischen «Cóemgein», was so viel wie «hübsch, ehrlich und anmutig von Geburt» bedeutet.
Als Kevin Keegan, der erste Popstar (und Fussball-Millionär) in der Geschichte der deutschen Bundesliga, zwischen 1977 und 1980 seine langen, braunen Locken für den Hamburger SV über den Rasen wehen liess, stieg der Name auch hierzulande in der Gunst der taufenden Eltern – eine Tendenz, die sich, mit einem kurzen Unterbruch, fortsetzte. 1986 taucht Kevin erstmals in den Top 50 der Namenshitparade auf.
Zenit: zweimal die Nummer 1
1991, ein Jahr nach meiner Geburt, stieg Kevin zum beliebtesten Namen in der Schweiz auf; ebenso 1992. Der Grund ist einfach: Einerseits lief im Januar 1991 der Film «Kevin – allein zu Haus» in den deutschsprachigen Kinos an; andererseits war Kevin Costner, dessen Mutter aus Irland stammte, mit Streifen wie «Der mit dem Wolf tanzt» (1990) und «Robin Hood – König der Diebe» (1991) auf dem Zenit seines künstlerischen Schaffens. Erst 2010 fällt der Name wieder aus den Top 50 der Hitparade; letztes Jahr war er noch auf Rang 82 klassiert.
Fall: Aus Kevin wird Kääwinn
Jetzt, warum Kevinismus. Erstens der Terror: Ab 1993 bombardierte uns Costner mit Goldenen Himbeeren wie George W. Bush einst den Irak (schlechtester Schauspieler, schlechtester Produzent, schlechtester Regisseur für Filme wie «Postman», «Wyatt Arp» oder, nur nominiert, «Waterworld»). Und Macaulay Culkin, der «Kevin – allein zu Haus»-Darsteller, terrorisierte die Jugend mit seinen wüsten Drogengeschichten.
Zweitens das Fremde: Kevin klingt ja prächtig, aber die eingedeutschte Version gleicht nicht selten einer Marke für kasachische Drahtbürsten: Kääwinn. Oder: Ckewinn. Mit solch fremdländischen Silben wird der besorgte Abendländer nicht fertig.
Drittens die Kolportierung der gescheiterten Integration: Eine 2009 erschienene deutsche Studie kam zum Schluss, dass Schüler mit dem Namen Kevin von ihren Lehrern eher als leistungsschwach bewertet werden. Offenbar gingen die 2’000 Lehrerinnen und Lehrer, die für die Studie befragt wurden, davon aus, dass die Kevins vor allem aus bildungsfernen Familien stammten, während «richtige» Namen wie Alexander, Emma und Lukas als intelligenter bewertet wurden. Eine empirische Grundlage dafür gibt es bis heute nicht.
Ähnlich schlecht wie Kevin schnitten die Vornamen Chantal (auch «Schantall» ausgesprochen), Justin, Dennis, Marvin und Jacqueline («Schakkeline» oder «Schagglynn») ab. Von einer regelrechten «Namensfalle» ist in der Studie die Rede.
Der Name ist ein Segen
Aber was heisst schon Namensfalle. Eher würde ich sagen: Namensguillotine, denn ich sage dir, ein Kevin zu sein, ist ein wahrer Segen, ein soziologisches Skalpell mit höchster Präzision sozusagen. Stichwort Sezieren: Du sezierst die Guten von den Bösen, die Dummen von den Intelligenten, und die Brauchbaren von den Unbrauchbaren.
Die Guillotine schlägt zu
«Du heisst also Kevin», beäugt mich ein Fremder, der auf der Schwelle zum Bekannten steht, weil vorgestellt durch einen gemeinsamen Freund. Er wirkt nachdenklich, und die Lippen zucken ein wenig, als ob er seine rauschenden Gedanken mit seinem Mund festhalten will, weil sie ihm sonst durch die Ohren sausen.
«Kevin also», wiederholt er. Und du erkennst: trügerische Ruhe vor dem flauen Kevinwitz-Sturm.
«Richtig.»
«Oje. Haben dich deine Eltern absichtlich auf diesen Namen getauft?»
«Klar.»
«Mein Beileid, hehe. Wollten dich wohl oft alleine zu Hause lassen, deine Alten, höhö.»
In solchen Momenten fühle ich mich müde, unendlich müde – und verstehe alle genervten Kevins, ob Wirtschaftskevins oder nicht, die ständig dazu genötigt werden, sich von irgendwelchen Dingen zu distanzieren, die überhaupt nichts mit ihnen zu tun haben.
«Du», erwidere ich dann endlich mit einem Seufzer. «Deine Mutter hat dein Beileid verdient, nicht ich.»
Und zack, der dünne Faden des Anfreundens ist durchtrennt; die Namensguillotine hat zugeschlagen, das französische Original (Baujahr 1789) ist nichts dagegen.
So geht das, ihr Abendländer.